Die Hexe
den Rücken zu fallen, war den Chwanen ein Rätsel. Die vier kraftstrotzenden Ritter – allem Anschein nach Angehörige der Drachenloge – hatten vor dem gesprengten Eingangsbereich der Villa Stellung bezogen und lieferten sich ein heftiges Feuergefecht mit jemandem im Inneren des Hauses. Die hohl klackenden Schüsse aus den Pistolen der Tschuden wurden immer wieder vom furchterregenden Kanonendonner einer Pumpgun erwidert.
»Sollen wir ihnen helfen?«, schlug Leka vor und deutete mit dem Daumen in Richtung der Ritter. »Wir gehören schließlich auch zum Herrscherhaus Tschud.«
»Wozu?«, wunderte sich Muba, der mit der Vasallentreue seines Kompagnons nichts anfangen konnte. »Die können sich doch auch ohne uns amüsieren. Und außerdem sind wir nicht zum Vergnügen hier.«
Enttäuscht warf Leka einen wehmütigen Blick auf die kämpfenden Tschuden, folgte Muba durch ein ausgeschlagenes Fenster ins Haus und lauschte dem Gepolter, das durch die Zimmerdecke drang. Das Chaos, das in der Villa herrschte, stimmte den kampflustigen Chwanen versöhnlich. Im Erdgeschoss tobte eine Schießerei, im ersten Stock wurden offenbar Möbel zu Kleinholz gemacht und aus der eingetretenen Tür zum Wohnzimmer drang der feine Duft edler Whiskeysorten.
»Wo sollen wir hin?«, erkundigte sich der junge Chwan.
»Es gibt zwei Räume mit aktiven magischen Feldern im Haus«, erklärte Muba, nachdem er das Gebäude gescannt hatte. »Eines oben und das zweite im Keller.«
»Unten ist wahrscheinlich ein Laboratorium«, mutmaßte Leka.
»Und das magische Feld dort ist stärker«, ergänzte Muba. »Wir nehmen uns mal den Keller vor.«
Amboss ahnte nicht, wie gut er es getroffen hatte. Um bei der Plünderung der Villa möglichst gründlich vorzugehen, hatte Säbel seine Leute aufgeteilt und den jungen Kämpfer mit der Durchsuchung des Erdgeschosses beauftragt. Anfangs war Amboss überhaupt nicht wohl dabei, denn die Tschuden, denen Container am Eingang mit seiner Repetierflinte einheizte, konnten schließlich auch durch irgendein Fenster ins Haus einsteigen. Aus diesem Grund war die zur Ängstlichkeit neigende Rothaube zunächst weniger mit Plündern beschäftigt, als damit, sich verstohlen nach allen Seiten umzusehen. An seine Pumpgun geklammert und in geducktem Watschelgang erreichte Amboss schließlich das Wohnzimmer, wo er sich endlich ein Herz fasste und mit der Suche nach Beute begann.
Während Schreie, Schüsse und das Krachen berstender Möbel nach wie vor das Haus erschütterten, machte sich der Kämpfer daran, einen antiken Schrank aufzubrechen. Oder war das eher ein Sekretär? Mit der Klassifizierung von Möbeln kannte sich Amboss nicht aus. Schwer zu sagen, was er sich erwartete, als er das Brecheisen ansetzte, das Resultat übertraf jedenfalls seine kühnsten Erwartungen: Der Schrank beherbergte eine Whiskey-Bar.
Amboss konnte sein Glück nicht fassen. Sekundenlang huschten seine kleinen schwarzen Knopfaugen verzückt über das imposante Sortiment, dann griff er sich wahllos eine der Flaschen, entkorkte sie mit seinen vergilbten Zahnstumpen und leerte den sechzehn Jahre alten Lagavulin in einem Zug.
Die heftigen Geräusche im Haus verschmolzen zu einem angenehmen, fernen Hintergrundrauschen. Amboss warf die leere Flasche hinter sich, rückte einen bequemen Stuhl an die Bar und machte es sich gemütlich. Als Nächstes kam ein achtzehn Jahre alter Glenmorangie an die Reihe. Als er ihn ausgetrunken hatte, schallte ein whiskeyseeliges Lied durch Karas Villa:
Tränk ich einen See leer,
würd ein anderer Mensch aus mir …
Für immer jung,
für immer blau …
Die wilde Jagd endete abrupt. Der heiße Atem der Verfolgerinnen war plötzlich nicht mehr zu spüren und das wütende Poltern ihrer Schritte verstummte. Eine Zeit lang liefen Bjana und Jamana mechanisch weiter, dann blieben sie stehen und tauschten verwunderte Blicke.
»Was ist los?«
»Haben wir sie abgehängt?«
»Das nicht, aber wir stehen jetzt nicht mehr unter fremder Kontrolle.« In der Tür stand eine zierliche schwarzhaarige Frau – eine schwarze Morjane ohne Kampfmontur. »Wir sind jetzt wieder Herr über uns selbst.«
»Hat jemand Kara den Armreif der Fate Mara abgenommen? «
»Keine Ahnung. Von der Wirkung des Armreifs ist jedenfalls nichts mehr zu spüren.« Die Schwarze Morjane lehnte sich erschöpft gegen den Türstock. »Wir sind frei.«
Die Weißen Morjanen sahen einander ungläubig an.
»Ist uns da jemand zuvorgekommen?«
»Hattet ihr vor uns
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