Die Hexe
Handbewegungen der Zauberin gehorchend öffnete sich das Buch, sank langsam herab und verharrte etwa in Höhe der Brust der Zauberin. Kara hielt eine dramaturgische Pause ein, genoss die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit und ließ den Blick langsam über ihre Gefolgschaft schweifen.
»Vor uns liegt die Ewigkeit, und diese Ewigkeit darf nur uns und unseren Kindern gehören. In unserer Zukunft ist für niemand anderen Platz! Nur für uns und unsere Kinder!«
»Nur für uns und unsere Kinder!«, wiederholten die Versammelten.
»Was sind wir bereit, für die Zukunft zu tun?«
»Alles!«
»Ich glaube euch!« Kara erhob die Hände. »Kraft meines Amts als Hüterin des Schwarzen Buches schenke ich euch die wahre Kraft des Lichts! Im Namen des Lichts! Im Namen der Ewigkeit!!! Seid ihr bereit, dem Licht gleichermaßen zu dienen wie ich?«
»Wir schwören es!«
»Dann sei es!«
Das Schwarze Buch erzitterte und der Lichtschein um die Zauberin verstärkte sich.
»Diese Kraft ist unser Geheimnis!«
Die Magier reckten die Arme dem Podium entgegen und Larissa spürte sofort ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen. Das Kribbeln verstärkte sich, wanderte langsam durch die Arme, erfasste allmählich ihren ganzen Körper und lud jede einzelne Zelle mit Energie auf.
»Kraft für die Menschen!«
Die Öllampen erloschen nun vollends und in der Dunkelheit konnte man die Bewegung der Energieströme gut beobachten. Ihre Intensität war so hoch wie bei einer Magischen Quelle, doch sie entsprangen gleichsam aus dem Nichts, im schmalen Zwischenraum zwischen der Zauberin und dem Schwarzen Buch. Kurz nach ihrer Entstehung formten sie leuchtende Wirbel, die scheinbar chaotisch ums Podium kreisten. Doch Kara hatte sie völlig unter Kontrolle. Sie dirigierte sie nicht nur gezielt zu ihren Gefolgsleuten, sondern passte auch ihre Stärke an den jeweiligen Magier an.
»Spürt ihr die Kraft?«
»Wir spüren die Kraft!«
Als Erster ließ der junge Mischa die Arme sinken. Die Aufnahmefähigkeit des pickelgesichtigen Magiers war erschöpft und er sank wie vom Blitz getroffen zu Boden. Als Nächste fielen die Zwillinge um, dann Gleb, der unverzüglich zur nächsten Weinkaraffe robbte, und Arnold, der hinschlug wie ein gefällter Baum.
Die leuchtenden Energiewirbel, die ihr Werk verrichtet hatten, kehrten zum Podium zurück, wo sie die Zauberin wie ein Schwarm von Planeten umkreisten.
Jetzt war Mohammed an der Reihe, der sich zu Larissas Überraschung auch als Magier erwies. Er fiel rücklings auf sein Fell und streckte schwer atmend die mächtigen Arme zur Seite. Nur wenige Augenblicke später kippte auch Inga um.
Nun war nur noch Larissa übrig, die nach wie vor von einem heftig rotierenden Wirbel unter Strom gesetzt wurde. Doch die junge Frau spürte, dass sie noch jede Menge Energie aufnehmen konnte.
Die Zauberin sah sie verwundert an: »Spürst du die Kraft?«
Larissa nickte nur.
»Du musst die Energie in dich eindringen lassen!«
»Das tue ich doch!«
Kara war fassungslos. Die Blondine schluckte die magische Energie wie ein Staubsauger und schien überhaupt nicht genug davon zu bekommen.
Erst jetzt offenbarte sich, über welch kolossales Potenzial Larissa tatsächlich verfügte und allmählich wurde die Sache der Zauberin unheimlich. Das Schlimmste war, dass ihre übrigen Gefolgsleute, die sich inzwischen wieder aufgerappelt hatten, die Szenerie mit wachsendem Interesse verfolgten. Was sollten sie denken? Doch Kara konnte nun nicht mehr zurück und legte noch mehr Kraft in den Wirbel über den Armen der jungen Magierin.
Larissa spürte sofort, dass sich der Energiestrom noch verstärkte, so als hätte jemand an einem unsichtbaren Trafo gedreht. Das angenehme Kribbeln, das sie bislang verspürt hatte, intensivierte sich zu einem fast stechenden Schmerz. Gleichzeitig fühlte sie sich so energiegeladen wie noch nie zuvor in ihrem Leben und spürte, dass nichts auf der Welt sich dieser geballten Kraft widersetzen konnte. Nichts auf der Welt!
»Das genügt!« Larissa drehte die Handflächen nach außen und lenkte die auf sie einströmende Energie mit einer flüchtigen Geste in die Gegenrichtung. »Mehr geht nicht.«
Als der leuchtende Wirbel zurückschwebte und begann, um das Podium zu kreisen, fiel Karas Gesicht völlig in sich zusammen. Konsterniert verfolgte sie die Bewegung des rotierenden Balls, als hätte sie es mit einem UFO zu tun. Dann wandte sie den Blick zu Larissa zurück. Die Neue dachte überhaupt nicht daran,
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