Die Hexe
dir in der Schaukel gesagt habe, gilt nach wie vor. Ich brauche zwei Tage, um die Sache aufzuklären.«
»Willst du Chamberlain den Hals retten?«, fragte Kacha grimmig. »Die zwei Tage reichen ihm, um meine ganzen Leute abzuknallen.«
»Ich rette euch beiden den Hals!«, versetzte Andrej. »Dir und Chamberlain. Du bist doch ein heller Kopf, Kacha. Kapierst du nicht, dass jemand versucht, euch gegeneinander aufzuhetzen?«
»Warum solltest ausgerechnet du uns einen Gefallen tun?«
»Ich habe andere Pläne für euch«, erwiderte der Major augenzwinkernd. »In Sibirien wird sich bestimmt ein hübsches Plätzchen für euch finden. Dort könnt ihr meinetwegen auch eure internen Fehden austragen, aber nicht hier in Moskau.«
Gori maulte etwas Unverständliches vor sich hin.
»Sollten deine kaukasischen Gorillas in den nächsten beiden Tagen an irgendeinem öffentlichen Ort auch nur die Luft verpesten, dann hetze ich dir höchstpersönlich Klim an den Hals. Haben wir uns verstanden?«
Kacha hatte durchaus verstanden. Oberst Klim Washenin kommandierte das knallharte Spezialeinsatzkommando des Moskauer Polizeipräsidiums, das sich während der blutigen Gangsterkriege Anfang der neunziger Jahre einen Namen gemacht hatte. Zu jener Zeit wurden die Banditen durch das entschlossene Durchgreifen der Staatsgewalt gezwungen, ihre Meinungsverschiedenheiten entweder friedlich oder außerhalb der Stadtgrenzen auszutragen. In der Wahl ihrer Mittel war die Polizei damals nicht zimperlich – es genügt wohl zu erwähnen, dass die SEKler nur selten Handschellen dabeihatten – , doch die Mafiosi verstanden diese Sprache. Nachdem die schlimmsten Auswüchse der Kriminalität eingedämmt waren, kehrte die Polizei wieder zu traditionellen Methoden der Verbrechensbekämpfung zurück. Kornilow führte Ermittlungen durch, suchte nach Beweismaterial und brachte die Fälle dann vor Gericht, doch natürlich dachte man gar nicht daran, das Spezialeinsatzkommando aufzulösen.
»Versuch nicht, mir zu drohen, Kornilow«, entgegnete Gori.
»Ich drohe dir nicht, Kacha. Ich möchte dich nur daran erinnern, dass wir eine Abmachung haben. Und ich will, dass diese Abmachung eingehalten wird.« Kornilow zündete sich eine Zigarette an. »Ich habe einen Job, Kacha, und der besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Steuerzahler am Abend zu Hause oder in einer Bar sitzen und friedlich ihr Bierchen zischen können und nicht um ihr Leben zittern müssen, weil auf der Straße herumgeballert wird. Ich würde dir nicht empfehlen, mir dabei in die Quere zu kommen.«
»Meine Jungs sind wütend. Sie sind davon überzeugt, dass Chamberlain Waliko liquidiert hat.«
»Dann ruf deine Leute zusammen, erzähl ihnen eine hübsche Geschichte, kurzum: Schinde irgendwie Zeit.«
»Garantierst du mir, dass Chamberlain nicht dahintersteckt? «
»Das fehlte noch, dass ich dir irgendwelche Garantien ausspreche«, erwiderte Andrej und grinste schief. »Du hast die Wahl: Entweder du hältst dich an die Abmachung oder die Sache geht schlecht für dich aus.«
Grüner Hof, Hauptquartier
des Herrscherhauses Lud
Moskau, Lossiny Ostrow
Samstag, 30. September, 10:24 Uhr
Kara schätzte die Macht, die der Armreif der Fate Mara verlieh.
Wie jeder gute Magier war Kara in der Lage, einen Sluagh-Bann zu verhängen, einen Zauber, der die Zielperson vollständig dem Willen des Zauberers unterwirft. Doch der Armreif war ein völlig anderes Kaliber. Wer mit einem Sluagh-Bann belegt war, wurde seines Bewussteins und seiner Gefühle beraubt und konnte sich im Nachhinein nicht mehr an das erinnern, was während der Wirkung des Zaubers mit ihm geschehen war. Die dem Armreif unterworfenen Schwarzen Morjanen dagegen blieben stets Herr ihrer Sinne, konnten sich gegen die erteilten Anweisungen jedoch nicht wehren, auch wenn sie es noch so sehr wollten. Kara berauschte sich am Gefühl der uneingeschränkten Macht über die furchterregenden Monster – und im konkreten Fall galt dies ganz besonders.
Der Hass, den Tapira für Kara empfand, hätte für eine ganze Armee religiöser Fanatiker gereicht, deshalb bereitete es der Zauberin große Genugtuung, die Morjane zu demütigen. Doch am heutigen Tag sollte Tapira eine wichtige Rolle spielen.
Kara nippte genüsslich an ihrem Beaujolais und rieb über die Smaragde des Armreifs.
»Du weißt, was du zu tun hast, Tapira?«
»Natürlich«, erwiderte die Morjane blutleer.
»Ich verlasse mich auf dich, mein Goldstück«, kicherte die
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