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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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allein stand Elinor neben dem König. Über der Schulter trug sie einen Sack aus weichem Leder, der wie die Schutzhülle eines Instruments aussah.
    Sie sucht die Nähe zur Macht, ging es Ravenna durch den Kopf. Dann hob sie den Kopf. Die Siegerehrung wollte sie sich von niemandem verderben lassen, auch nicht von der Hexe vom Hœnkungsberg.
    Constantin empfing sie mit offenen Armen und küsste sie auf beide Wangen, als hätte dieser Nachmittag sie zu seiner Schwiegertochter gemacht. Anschließend stellte er sie den geladenen Gästen vor. Der Reihe nach schüttelte Ravenna Königen aus anderen Teilen des Landes, Constantins Grafen und dem Bischof die Hand. Die Marquise musterte sie kühl. Ravenna zuckte zusammen, als sie Elinors Hand nahm. Die Innenfläche war dick vernarbt. Von nahem erkannte sie, dass Elinor so ausgezehrt war, als stünde sie kurz vorm Verhungern. Mit mageren Fingern strich die Marquise über ihren Handrücken und die große, dunkelblaue Perle auf ihrer Stirn schimmerte.
    »Drei Tage hier und schon Maikönigin. Das ist beachtlich«, stellte sie fest.
    »Vier«, entgegnete Ravenna. Sie stellte sich aufrechter hin und reckte das Kinn vor. »Mit heute sind es vier Tage.«
    Elinor lächelte. »Wenn du glaubst, dass es dir etwas nützt.« Sie zuckte die Achseln und wandte sich ab.
    Während der offiziellen Begrüßung wartete Lucian bei seinen Freunden. Statt der Rüstung trug der junge Ritter nun Hemd und Hose aus Leinen sowie einen Umhang. Nevere hatte die verletzte Schulter verbunden, und Lucians Blicke folgten Ravenna überallhin.
    Für den Sieger des Lanzenstechens sah Lucian jedoch ungewöhnlich ernst aus. Ich habe ungute Erinnerungen an manche Turniere. Es hat Tote gegeben, Freunde von mir. Seine Warnung hallte in Ravenna nach. Er bewacht mich, dachte sie, genau wie er versprochen hat. Doch wovor? Lucians Aufmerksamkeit erfreute sie und machte sie zugleich nervös, denn sie konnte nicht erkennen, woher die Gefahr drohte, jetzt, da der Marquis besiegt war.
    Endlich war das Begrüßungszeremoniell vorbei. König Constantin winkte den Baron de Munchstein zu sich. »Wir alle haben erlebt, wie Lucian kämpfte und das Duell gegen den Marquis gewann«, begann er. »Erklärt Ihr nun vor all diesen Zeugen, edler Baron, was Ihr mir vorhin bereits unter vier Augen sagtet, nämlich dass Ihr auf eine weitere Herausforderung am heutigen Tag verzichten wollt? Somit wäre Lucian endgültig der Sieger des Turniers.«
    Würdevoll verneigte sich der Baron vor dem König und dann vor Lucian. »Mein lieber Constantin«, hob er an und erntete bereits für diese Anrede die ersten Lacher. »Ich glaube, Euer junger Freund hier hat mich für den Rest meiner Tage davon geheilt, mich mit Euren Rittern messen zu wollen – auch wenn das bedeutet, niemals eine der schönen Frauen vom Odilienberg zu gewinnen. Statt ihn erneut zum Kampf zu fordern, will ich ihm lieber danken, denn nur durch sein beherztes Eingreifen bin ich noch am Leben. Falls Ihr, Lucian von Landsberg, eines Tages in Bedrängnis seid, so braucht Ihr Euch nur auf mich berufen. Ich werde kommen.«
    Die jungen Handwerksburschen japsten vor Lachen. Einige Frauen aus der Stadt seufzten, als der Baron seinem Retter die Hand schüttelte. Lucian wirkte verlegen, als er einige höfliche Worte murmelte.
    »Nun macht nicht so ein Aufheben um so ein lausiges Ergebnis«, knurrte eine Stimme hinter Ravenna. Als sie sich umdrehte, entdeckte sie Neveres rothaarigen Gefährten in der Menge. Marvin funkelte sie an. »Beliar hat den Sturz leider überlebt. Ein verstauchter Knöchel und ein lahmes Pferd – es wäre für uns alle besser gewesen, der Marquis wäre nie wieder aufgestanden.«
    »Lucian ist eben kein feiger Mörder«, gab Ravenna zurück.
    »Sondern ein Dummkopf«, erwiderte Marvin kalt. »Oder glaubst du vielleicht, der Feind weiß seine Großherzigkeit zu schätzen? Irgendwann rächt sich sein Edelmut und dann wäre es deinem Geliebten bestimmt lieber, er hätte Beliar mit der Lanze an einen Baum genagelt.«
    Ravenna spürte, wie ihre Wangen brannten. »Lucian ist nicht mein …«
    »Bist du blind oder tust du nur so? Ist dir denn gar nicht aufgefallen, dass die Ratsherren und die Zunftmeister aus der Stadt bereits abgereist sind?«, fiel ihr der Krieger mit den fuchsroten Haaren ins Wort. »Sie sind mit dem Ergebnis dieses Turniers ganz und gar nicht einverstanden. Beliar hat sich ihnen übrigens angeschlossen und wird sie sicher auf dem ganzen Ritt nach Straßburg

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