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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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vom Kopf nahm. Sie zog zwei der schwarzen Malven aus ihrem Gebinde und fädelte sie zwischen die Birkenzweige. »Glaubst du, die Sieben würden mich in deine Nähe lassen, ohne dass ich ein bisschen nachhelfe?«
    Ravenna wich zurück, bis sie den Maistein im Rücken spürte. Ihre Finger tasteten nach dem silbernen Hexendolch, der in ihrem Gürtel steckte. »Verschwinde!«, fauchte sie. »Ich weiß alles über dich und ich will von dir nichts haben.«
    »Warum so unhöflich?«, fragte Elinor leise. Mit dem Kranz in den Händen trat sie auf Ravenna zu. »Reden die Sieben so schlecht über mich? Oder fühlst du dich mir nicht gewachsen?«
    Ravennas Herz schlug plötzlich sehr langsam. Sie war noch nie einer Herausforderung aus dem Weg gegangen und sie hatte nicht vor, am Tag des Turniers damit anzufangen. »Was willst du von mir?«, fragte sie barsch.
    Am Aufblitzen in Elinors Augen erkannte sie, dass sie den richtigen Ton getroffen hatte. Schon mit dem nächsten Atemzug lächelte die Marquise wieder. »Ich wollte dich warnen. Auf dem Platz hast du Magie gewirkt. Jeder konnte sehen, wie du den Strom zu deinem Ritter gelenkt hast, bevor er Beliar besiegte. Daran merkt man, dass deine Ausbildung noch lange nicht vollendet ist. Wärst du wirklich eine der Sieben, wäre niemandem etwas aufgefallen.«
    Ravenna schwieg. Das Blut pochte ihr in den Schläfen, als sie an den Lichtbogen dachte, der sie fast von den Füßen geworfen hatte. Sie hatte tatsächlich geglaubt, nur sie und einer der Fassbindergesellen hätten bemerkt, was durch diesen Funkenschlag geschehen war: Sie hatte echte Magie gewoben. Sie hatte Lucian beschützen wollen und ihre ganze Willenskraft in ihren Wunsch gelegt. Offenbar hatte sie sich auf diese Weise an den magischen Strom angeschlossen.
    »Lucian von Landsberg hat das Lanzenstechen nur aufgrund deiner Hexenkünste gewonnen. Noch in dieser Stunde tritt in Straßburg der Hohe Rat zusammen, um über den Vorfall zu beraten«, erklärte Elinor.
    »Was gibt es da noch zu beraten!«, zischte Ravenna. »Lucian hat gewonnen. Und basta.«
    Elinor zuckte die Achseln. Sie hielt den Maikranz in den Händen und murmelte ein Wort. Plötzlich glaubte Ravenna, zwei Skorpione zu sehen, die anstelle der Blumen zwischen die Birkenzweige krochen. Die Stachelschwänze krümmten sich und die Tiere glänzten schwarz.
    »Mag sein, aber mein Mann hat einen festen Sitz im Rat«, fuhr die Marquise fort. »Er wird bezeugen, dass er den Lichtbogen gesehen hat, und dich als Hexe anklagen. Wenn man dich für schuldig befindet, was ich für sehr wahrscheinlich halte, kommt Beliar dich holen. Und dann kann niemand, weder die Sieben noch dein junger Ritter, dich beschützen.«
    »Aber ich habe nichts Verbotenes getan!« Der Aufschrei rutschte Ravenna heraus, ehe sie begriff, dass er schon fast wie ein Geständnis klang.
    Elinors Lächeln wurde kälter. »Das hat Melisende auch behauptet, viele Wochen lang, während sie im Kerker zu Straßburg gefangen saß. Gestern hat sie endlich ein Geständnis abgelegt. Unter der Folter rief sie deinen Namen und gab zu, eine Hexe zu sein. Mehr noch – sie bewies sogar, dass sie eine Schwarzmagierin ist, indem sie ihren Richtern Höllengetier auf den Leib hetzte. Die Ärmsten sind zu Tode erschrocken, als Fledermäuse von der Decke fielen.«
    »Man hat … man hat sie gefoltert?« Ravenna spürte, wie ihre Knie weich wurden. Schreckliche Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Rasch griff sie nach Lucians Arm, aber die Sehnen und Muskeln fühlten sich so kalt an wie Stein. Der junge Krieger regte sich nicht.
    Die Marquise nickte. »Sie und den Gänsejungen, der den Bezoar in ihrem Auftrag unter der Ulme versteckte. Beide werden morgen vor Sonnenaufgang verbrannt. Ah – denke noch nicht einmal im Traum daran, dass du mich angreifen könntest«, warnte sie, als Ravenna den Dolch packte. Sie trat auf die junge Frau zu und drückte ihr das Gebinde aus Birkenreisig und Skorpionen in die Locken. Mit festem Griff nahm sie Ravennas Gesicht zwischen die Hände und senkte den Kopf, bis der Reif mit der dunkelblauen Perle Ravennas Stirn berührte.
    Eine mandelförmige Stelle über der Nasenwurzel glühte. Ein Sog entstand, der ihr die Gedanken bis aus der letzten Windung des Gehirns aussog. Sie schrie auf und versuchte sich loszureißen, als Elinor ihr sämtliche Erinnerungen entriss – sogar jene, die bis in das Jahr 2011 reichten. Bilder von einem düsteren Treppenhaus krochen aus dem Vergessen hervor.

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