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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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von Dunkelheit in den Fluren und Lesesälen aus, ein Schatten, vor dem es Ravenna graute. Sie sah, wie die Topfpflanzen auf dem Fensterbrett schwarz wurden und verdorrten, und musste wieder an Corbeaus vergifteten Garten denken. Schützend legte sie den Arm vor das Gesicht, um den Qualm nicht einzuatmen. Dann warf sie sich von neuem gegen die Tür.
    »Ravenna.«
    Als sie Lucians Stimme hörte, drehte sie sich um. Er stand im künstlichen Regen, ein von Blitzen beleuchteter, junger Mann, der ihre Schwester auf den Armen hielt. Neben ihm stand der Professor.
    Statt des zerknitterten Anzugs trug der Gelehrte nun plötzlich einen langen Druidenmantel. Um seine Hüften lag eine breite Schärpe und in der Hand hielt er einen Stab, an dessen Spitze ein Licht strahlte. Er lächelte und sagte kein Wort. Mit der linken Hand wies er auf die Angeln der breiten Fluchttür und schrieb ein magisches Zeichen in die Luft. Sie glühten erst rot und dann weiß. Dann zerriss ein scharfer Knall die Luft und die Tür sackte zur Seite.
    Der Professor schritt an Ravenna vorbei und stieg die Treppe hinunter. Das Licht, das er trug, schwebte in die Tiefe. Mit der Schulter schob Lucian sie an. »Geht! Bitte folgt ihm! Schnell.«
    Mit weichen Knien ging sie die Treppe hinunter. Auf dem nächsten Absatz gab es wieder einen Notausgang, aber der Professor ließ ihn außer Acht. Zögernd streifte Ravenna mit den Fingerspitzen über die Stahltür – und zuckte zusammen. Ihre Fingerkuppen schmerzten, die Tür war glühend heiß.
    Von nun an zögerte sie nicht mehr, dem kleinen, weißen Licht zu folgen. Der Professor führte sie in den Keller und dann durch die Tiefgarage, wo es eine weitere Fluchttür und einen Betonschacht gab, der in einer Treppe mündete.
    Sie kamen in einem Park heraus, viele Schritte vom Gebäude entfernt. Es war dunkel und regnete immer noch, doch der Wind hatte nachgelassen. Zuckende Lichter erhellten den Park, aber sie stammten nicht von Blitzen, sondern von dem Ring aus Rettungsfahrzeugen, der sich um die Bibliothek gebildet hatte. Leitern waren ausgefahren, Schläuche spritzten Wasser in die qualmenden Fensterhöhlen im obersten Stock und ein Hubschrauber kreiste am Himmel.
    Am ganzen Leibe schlotternd, drehte Ravenna sich zu ihrem Begleiter um. »Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind«, sagte sie zu dem Professor. »Aber danke. Vielen Dank. Zum Glück kannten Sie den Fluchtweg nach draußen, sonst wären wir alle erstickt.«
    Der alte Mann lächelte, aber er sagte noch immer kein Wort. Behutsam bettete Lucian Yvonne ins Gras. Dann sank er vor dem Professor auf ein Knie, nahm dessen Hand und führte sie an die Stirn. Eine ähnliche Geste hatte Ravenna bislang nur zwischen den Rittern und ihrem König beobachtet.
    Der Professor legte dem jungen Mann die Hand auf das nasse Haar. Scharf sog Ravenna den Atem ein, als sie im Laternenlicht einen Gegenstand funkeln sah und erkannte, dass ihr Retter denselben Schmuck trug wie Lucian: den Ring der Geweihten.
    Die Begegnung dauerte keine halbe Minute. Dann stand Lucian wieder auf. Gemeinsam sahen sie zu, wie sich die Gestalt in dem grauen Mantel abwandte und durch den Regen wanderte. Der Umhang wurde immer fadenscheiniger und durchsichtiger, bis nicht mehr als eine Nebelfahne über dem Rasen zu schweben schien. Dann verwehte sie. Zuletzt schimmerte nur noch das weiße Licht an der Stelle, klar wie ein Stern. Irgendwann erlosch es auch.
    »Wer war das?«, fragte Ravenna. Ihre Zähne schlugen aufeinander und sie war vollkommen durcheinander. Lucian hingegen wirkte gefasst wie jemand, der gerade eine große Gefahr unbeschadet überstanden hatte. Er starrte noch immer auf die Stelle, an der das Licht verschwunden war.
    »Das war der Pilger«, sagte er leise. »Es heißt, man sieht ihn, ehe man stirbt. Uns hat er das Leben gerettet.« Jetzt schauderte er und wandte sich ab. Streng blickte er Ravenna an. »Behauptet nie wieder, in Eurer Welt gäbe es keine Magie, denn es ist schlicht und ergreifend nicht wahr! Ich kann keinen Unterschied zu der Zeit erkennen, aus der ich stamme, und ich schlage vor, wenn Eure Schwester wieder wach ist, sollten wir sie eingehend befragen.«
    Mit gerunzelter Stirn starrte er auf Yvonne hinab, die sich schwach regte. Sie hustete und rieb sich das Brustbein, als hätte sie Schmerzen.
    »Allerdings, das sollten wir«, murmelte Ravenna. Dann lief sie quer über den Rasen zu einem Fahrzeugstand und hob den Arm. »Taxi. Taxi! Fahren Sie uns zur Schleuse an der

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