Die Hexen - Roman
Hinterlistigsten aller Dämonen, ihre Schwester in seinen teuflischen Plan einzuspannen.
Sie riss sich von Lucian los und stürzte vorwärts. »Yvonne! Nein!«
Das erste Licht berührte den Glaskasten. Der Deckel explodierte und diesmal flogen scharfe Glassplitter durch die Bibliothek. Die alte Handschrift fing augenblicklich Feuer. Es war das Buch über den Hexenkonvent auf dem Odilienberg. Weitere Explosionen folgten und auch die anderen Bücher standen in Flammen.
Ravennas Haut spannte schmerzhaft, als sie zwischen zwei zuckenden Lichterscheinungen hindurchschlüpfte. Ihre Schwester stand mitten in dem Kreis aus roten Flammen. Yvonnes Haar knisterte wie Seidenpapier, die Augen rollten in ihrem Kopf und die Finger flatterten durch die Luft. Blitze zuckten um ihre Arme.
»Fyrcræft«, rief sie. Ihre Stimme war ein Echo, das aus einem Brunnen hallte, und es klang, als spräche sie nicht allein, sondern als riefen tausend Kehlen dasselbe Wort.
Ravenna versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Yvonne sog scharf den Atem ein und berührte die getroffene Stelle. Die Augen, die sich eben nicht auf einen Punkt hatten richten können, blickten Ravenna vorwurfsvoll an. Dann brach sie lautlos zusammen.
»Hilf mir! Lucian, hilf mir doch! Heb sie hoch! Wir müssen hier weg«, rief Ravenna ihrem Ritter zu. Hastig eilte sie von einem Glaskasten zum nächsten und streckte die Hände über die Flammen, wie sie es bei Viviale gesehen hatte.
»Blinnanier!«, schrie sie und wieder: »Blinnanier!«
Mit diesem Wort hatte die alte Magierin die Flammen erstickt, die in ihrer Kammer auf dem Berg wüteten, doch das Buch der Hexen brannte weiter. Der beißende Rauch trieb Ravenna Tränen in die Augen. Wie durch Schleier beobachtete sie, wie sich die Seiten kräuselten und zu Asche zerfielen. Die Handschrift aus dem Konvent war für immer verloren.
Keuchend tauchte Lucian an ihrer Schulter auf. Er trug Yvonne auf den Armen. Ihr Kopf fiel weit nach hinten und ihre Augen waren geschlossen. »Es hat keinen Zweck! Wir müssen weg hier, sonst verbrennen wir auch!«
In ihrer Aufregung hatte Ravenna nicht bemerkt, dass nicht nur die zwölf Glaskästen mit den kostbarsten Schätzen der Bibliothek Feuer gefangen hatten. Auch einige der angrenzenden Regale brannten und die Sirenen heulten jetzt von nahem.
»Das ist die Feuerwehr. Wir müssen verschwinden, bevor sie hier sind«, stieß sie hervor. Sie wandte sich in die Richtung, in der sich der Lift befand, doch plötzlich nahm sie aus dem Augenwinkel einen schwachen, bleigrauen Schimmer wahr. Der Computer lief noch immer. Offenbar hing er am selben Stromnetz wie die Notbeleuchtung. Sie stürzte zu dem Pult und drückte auf die Eingabetaste.
Das Porträt eines Fürsten aus dem 17. Jahrhundert erschien auf dem Bildschirm, in Öl gemalt. Im Begleittext stand der Name Arden Lambert. Es war das gleiche Gesicht, 2011, im Jahr 1673 und im Mittelalter. Beliar war ein unsterblicher Dämon.
Ravenna beachtete das Porträt nicht weiter. Nach allem, was geschehen war, überraschte sie die Entdeckung kaum noch. Sie tippte die Begriffe Nationalbibliothek und Notausgang in die Suchmaske und drückte auf die Entertaste.
Dann rannte sie los.
Der Hexen Macht, der Hexen Bann
»Es kann nicht mehr weit sein!«, schrie sie Lucian zu, der mit seiner Last hustend und keuchend hinter ihr hereilte. Die Haare ringelten sich um seine Stirn, von den Haarspitzen tropfte Wasser. Im ganzen Haus war die Sprinkleranlage angesprungen. Bitterer Qualm erfüllte den Flur.
»Hexerei! Ihr könnt es sogar im Innern eines Gebäudes regnen lassen!«, schnaufte Lucian, während er durch die Pfützen rannte, die sich im Gang sammelten. Wasser rann über die Scheiben des Empfangs, jenes Glaskastens, in dem Yvonne gearbeitet hatte.
Ravenna antwortete nicht. Sie warf einen besorgten Blick auf ihre Schwester. Yvonne war genauso nass wie Lucian und sie war noch immer ohne Bewusstsein. Eigentlich sollte ich wütend auf sie sein, dachte Ravenna. Aber sie spürte nur Angst.
»Hier ist es!«, rief sie. Ein grün leuchtendes Piktogramm zeigte den Notausgang an. Sie drückte den Griff nach unten. Die Tür war verschlossen.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, stöhnte Ravenna und warf sich mit der Schulter gegen den Stahl. Weder Geschrei noch Gewalt halfen weiter. Der Ausgang war verriegelt.
Dabei war der dichte Qualm noch nicht einmal das einzige Problem, auch wenn er das Atmen erschwerte. Mit dem Rauch breitete sich eine bestimmte Art
Weitere Kostenlose Bücher