Die Hexen - Roman
aus der Höhle zu kriechen. Der Wald lag friedlich und verlassen da – bis auf den Rauch, der sich unablässig in den Himmel kräuselte.
»Wozu dienen diese Steine?«, fragte Ravenna. Sie starrte in das Becken, aus dem der Qualm stieg. Wo Rauch ist, ist auch Feuer – diesen Ausspruch kannte sie. Aber brennender Granit?
»Die Schalensteine bilden einen Bannkreis um den Konvent«, erklärte Lucian. Langsam umrundete er den Stein. »Die Magie sammelt sich in den Becken. Alle Steine stehen in Beziehung zueinander. Sie leiten den magischen Strom zum Gipfel dieses Berges. Auf diese Weise wird auch die Mauer gesichert.« Er blieb stehen. Hinter ihm kletterte Yvonne aus der Höhle. Sie war ganz blass.
»Dann will der Hexenjäger diesen Bann offenbar aufheben«, mutmaßte Ravenna. »Offensichtlich tut er etwas, das den magischen Kraftstrom an manchen Stellen durchbricht.«
»Das ist nicht gut«, murmelte Lucian. »Wenn der magische Strom nicht mehr fließt, können sich die Sieben nicht länger verteidigen. Dann sind sie der Streitmacht ausgeliefert. Wir müssen sie warnen.«
Ravenna nickte. »Wir haben nicht mehr viel Zeit, denn es ist diesen Leuten bereits gelungen, den Wall zu durchbrechen. Das Druidengrab liegt innerhalb des Mauerrings«, erklärte sie, als sie Yvonnes fragendes Gesicht sah.
»Und was jetzt?«, fragte Ravennas Schwester.
»Wir gehen zum Konvent.« Entschlossen wandte Lucian sich zum Gipfel. »Wenn wir Glück haben, wird es noch eine Weile dauern, ehe der Hexenbanner das magische Feld gestört hat. Unsere Feinde werden sich nicht vor Einbruch der Dämmerung in die Nähe des Tors wagen, denn sonst wären sie unseren Bogenschützen ausgesetzt. Folgt mir!«
Er schlug einen Pfad ein, der nicht dem Verlauf der Mauer folgte, sondern das Gelände durchquerte. Trotz des Gewichts von Kettenhemd und Schwert legte der junge Ritter die Strecke im Laufschritt zurück, und er hielt die Schwestern dazu an, ihm mit der gleichen Hast zu folgen.
»Wir hätten die Pferde mitnehmen sollen«, keuchte Yvonne, während sie durch den Wald eilten. »Wieso haben wir nicht daran gedacht?«
»Es geht nicht«, gab Ravenna zurück. »Johnny stand mitten im Hexenring, als die Sieben nach mir riefen. Ich fiel in den Zeitstrom, der Wallach nicht. Offenbar wirkt die Magie bei Tieren nicht so wie bei uns Menschen.«
Yvonne nickte. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen glänzten. Sie stellte keine überflüssigen Fragen und schien sich auch nicht zu wundern, dass die Heidenmauer plötzlich ohne Spuren von Verwitterung und Verfall aufragte. Ravenna beschlich die Ahnung, dass Lucian ihre Schwester in Ottrott sorgfältig auf die Reise in die Vergangenheit vorbereitet hatte.
Sie schnaufte erleichtert, als der Pfad breiter wurde. Das Kettenhemd lag wie Blei auf ihren Schultern und drückte auf die Blutergüsse, die sie sich im Gefecht mit Beliar zugezogen hatte. Eine Anhöhe noch, dann lag die Wiese vor ihr, die zum Konvent hinaufführte. Das Tor stand weit offen, eine junge Frau in einem Kittel und einem langen Rock fegte den Gewölbegang. An beiden Handgelenken und um den Hals trug sie schweren Silberschmuck, verziert mit Gravuren, Bernstein und Türkisperlen. Ihr Gesicht wirkte mürrisch. Einzelne, pechschwarze Haarsträhnen lösten sich aus dem Leinenstreifen, den sie nachlässig im Nacken verknotet hatte, und fielen ihr ins Gesicht.
»Sieh an, sieh an«, murmelte Yvonne. »Eine Frau mit einem Besen. Wenn das mal keine Hexe ist.«
Sie runzelte die Stirn. Offenbar hatte sie sich von der ersten Begegnung mit einer Magierin aus dem Konvent mehr erwartet.
»In diesem Durchgang befindet sich der Pferdestall und alles ist voller Stroh«, erklärte Ravenna kurzatmig. »Du wirst dich wundern, wie die Sieben ihren Alltag verbringen. Das meiste ist Arbeit, pflegt Aveline zu sagen.« Im Stillen wunderte sie sich darüber, dass sie die Hexe nicht erkannte. Es war keine der älteren Schülerinnen und auch in der Runde der Sieben hatte sie die junge Frau noch nie gesehen.
»Norani!«
Lucian rief den Namen der Magierin schon von weitem. Sie hob den Kopf, doch sie verzog keine Miene, als sie die drei Flüchtlinge erblickte, die über die Wiese auf sie zu rannten. Ihre grünen Augen standen auffallend schräg über ihren hohen Wangenknochen. Norani besaß eine kleine, gerade Nase, die Haut hatte einen dunklen Olivton. Ein gefährliches Funkeln lag in ihrem Blick.
»Nun schau einer an: Constantins ungehorsamer Ritter. Der König
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