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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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eine schwarze Hexe wäre, müsste man es spüren.«
    Als Ravenna den Mund öffnete, hob Norani warnend die Hand. Kein Wort!, bedeutete ihre Geste. Wenn du etwas zu sagen hast, sag es mir später.
    Befremdet musterte der König seinen Ritter. »Ohne einen Zeugen für die Tat gibt es keine Anklage«, meinte er dann. »Wenn du keine weiteren Anschuldigungen vorzubringen hast, muss ich Yvonne von dem Verdacht, eine Schwarzmagierin zu sein, freisprechen.«
    »Nicht so hastig.« Mit geschmeidigen Schritten umrundete Norani die Angeklagte. »Ihr habt mich zurückgerufen, weil ihr es nun schon mehrfach mit Schwarzer Magie zu tun hattet. Ein Bezoar unter einer Linde, ein Salamander in Ravennas Bett … Ich war schon auf halbem Weg in meine Heimat und konnte den heißen Wüstensand bereits riechen. Ich möchte nicht umsonst umgekehrt sein. Also sei so gut und stell dich hier hin«, verlangte sie von Yvonne und deutete auf einen Säulenfuß, der sich in der Mitte des Raumes befand. Er war kunstvoll ausgeführt und darüber befand sich ein ebenso prächtig geschmücktes Kapitell. Dazwischen gab es … nichts. Dort, wo normalerweise die Säule stand und die Last des Gewölbes aufnahm, war leerer Raum.
    Yvonne musterte das Kapitell. Der Schlussstein der nicht vorhandenen Säule hing schwer über dem Sockel. Von allen Seiten war er mit keltischen Mustern geschmückt.
    »Kannst du die Knotenschrift der Druiden entziffern?«, fragte die junge Hexe. Ohne auf Yvonnes Antwort zu warten, las sie vor, was auf den Seiten des Kapitells geschrieben stand. »Aufrichtigkeit. Wahrheit. Läuterung. Und Liebe. Das sind die Grundvoraussetzungen, um das Aufnahmeritual in den Konvent zu bestehen. Wir bilden keine Hexe aus, die böse Hintergedanken hegt. Bist du bereit?«
    Yvonne zögerte. Plötzlich war sie blass und wirkte gar nicht mehr so selbstsicher wie eben noch. Als Lucian ihr Zaudern sah, rieb er sich die Schläfen und verzog das Gesicht, als habe er Kopfschmerzen. »Wenn du dir nicht sicher bist«, meinte Norani achselzuckend, »dann lass es lieber bleiben.«
    »Doch. Doch!« Mit einem entschlossenen Schritt stellte Yvonne sich auf die Platte. Daran erkennt man, dass sie noch nie ein Bad im Augenbrunnen miterlebt hat, dachte Ravenna. Sonst wäre sie nicht so leichtfertig im Umgang mit prüfender Magie. Nervös verfolgte sie, wie Norani eine Bewegung aus dem Handgelenk vollführte, ein magisches Zeichen, das mit drei ausgestreckten Fingern geformt wurde. Von dem Kapitell staubte ein weißes Licht herab.
    Ravenna keuchte, als die blasse Flamme ihre Schwester einhüllte. Ganz langsam sank sie herab, bis Yvonne in einen Nebel gehüllt war.
    »Die Flamme des reinen Gewissens«, erklärte Norani mit einem katzenhaften Lächeln. »Sie lässt das Licht einer echten Hexe strahlen. Eine Schwarzmagierin hingegen verzehrt die Tempelflamme, ohne dass es eine Rettung gibt.«
    Ravenna rann es eiskalt durch die Adern, als sie begriff, dass ihre Schwester in Lebensgefahr schwebte, falls sie wirklich aus eigenem Antrieb Schadenszauber gewirkt hatte.
    Das Licht umflutete Yvonne wie ein zarter Schleier. Es blieb nicht reinweiß, sondern verfärbte sich allmählich gelb und rötlich wie der Himmel vor einem Hagelsturm. Zuletzt wurde die Flamme taubengrau. Ein Gitter aus haarfeinen Blitzen raste an der Säule auf und ab.
    Yvonnes Lächeln wirkte nun verkrampfter, Schweißtropfen glitzerten auf ihrer Stirn. Die Lippen bewegten sich, ohne dass ein Ton zu hören war. Schließlich verblasste die Flamme und wurde wieder weiß. Yvonne lächelte zwar, als sie von dem flachen Sockel stieg, doch sie schwitzte, und ihre Brust hob und senkte sich, als hätte sie einen Spurt zurückgelegt.
    Finster runzelte Norani die Stirn.
    »Offensichtlich hat sie wirklich keine dunkle Magie gewirkt«, stellte Josce fest. »Zumindest nicht mit Absicht. Aber ganz rein ist ihr Gewissen auch nicht.«
    »Sie verbirgt etwas vor uns«, meinte auch Nevere.
    Mit beiden Händen streifte Yvonne sich das Haar aus dem Gesicht. »Mein ganzes Leben lang musste ich meine Gabe verleugnen«, erklärte sie. »Niemand durfte wissen, wer ich bin und wozu ich imstande war! Als ich vierzehn war, wurde die Magie so stark, dass sie mich manchmal erschreckte. Ohne dass ich es wollte, gingen Gegenstände in Flammen auf, wenn ich sie ansah. Flaschen und Vasen zerplatzten, wenn ich in die Nähe kam, Teller und Besteck begannen zu schweben, wenn ich mich an den Tisch setzte, und nachts hörte ich manchmal Stimmen

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