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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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weiße Schärpe und ihr Haarband leuchteten im Halbdunkel des Gangs. »Den wahren Freund erkennt man in der Not«, übersetzte sie.
    Offenbar hatte sich Niall an das richtige Kennwort erinnert, denn Ramon nickte Norani zu und gab ihr ein Zeichen. Seufzend entflocht die junge Hexe den Bann, den sie zum Schutz des Konvents gewoben hatte. Dann zog Ramon die breiten Riegel zurück und stieß den Torflügel auf.
    Niall wankte in den Gang. Im Licht der gelben Glaslaterne, die unter dem Gewölbe brannte, wirkte er noch größer, als Ravenna ihn in Erinnerung hatte: ein erschöpfter Gigant, der beim Gehen mit den Schultern gegen die Wände stieß. Mit einem Ächzen zog er sich die Kapuze vom Kopf – und mit der Kapuze auch die Haut. Zumindest sah das Gewebe, aus dem die Maske gefertigt war, so aus. Nialls Gesicht zeigte sich auf dem Tuch, lebendig und durch Magie bewegt. Dann ging der Stoff in Rauch auf. Für einen Augenblick wurde die Qual in den Gesichtszügen sichtbar, die Niall empfunden hatte, als man ihm sein Wesen stahl. Dann stand der Hexenbanner im Gang.
    »Verflucht!«, stieß Norani hervor. Sie warf sich gegen das Tor, um es wieder zu schließen, doch der Stab des Hexenjägers fuhr in den Spalt. Es war nicht länger der morsche Eichenstock, auf den Niall sich gestützt hatte, sondern der lange, glatte Stab mit dem umgedrehten Pentagramm an der Spitze.
    »Freasannier!«, brüllte er.
    »Vielleicht hilft mir mal jemand!«, schrie Norani. Zu viert stemmten sich die Ritter gegen den Torflügel, doch die Pforte rührte sich keinen Fingerbreit, selbst als der Hexenbanner den Stab zurückzog. Magie hatte das Tor in den Angeln erstarren lassen.
    Vernon griff den Mann an. Der Hexenbanner schlug seine Waffe mit einer müden Geste zur Seite. Das nächste Schwert packte er mit bloßer Hand. Der Stahl schmolz wie Butter und tropfte zu Boden. Entgeistert wich Chandler zurück.
    Der Hexenbanner hob die Hände. Die Nebelschwaden über der abschüssigen Wiese zerrissen und wie von Geisterhand enthüllt wurden hinter den nebligen Schlieren die Feinde sichtbar: Barone und Grafen, die sich gegen Constantin auflehnten, weil Maeve gestorben war. Reiche Adelige aus Straßburg, denen Beliar Gift ins Ohr geträufelt hatte, sobald er vor dem Stadtrat sprach. Kaufleute in abgenutzten Pelzen, die wütend nach Hexen Ausschau hielten. Und Bauern, bewaffnet mit Sensen und Dreschflegeln, die sich vielleicht irgendwann einmal wegen Steuern und Abgaben über den König geärgert hatten. Die Nachhut bildete ein junger Mann, der pfeifend auf seinem Karren hockte. Das Gefährt wurde von einem schwarzen Ochsen gezogen. Es knarrte bei jedem Stein und jeder Wurzel, die es überrollte, als stünde es kurz vor dem Auseinanderbrechen. Es war der Leichenlader, der seinen Ochsen mit einer abgebrochenen Haselrute bearbeitete.
    Der Himmel über den Bäumen war rot. Die wütende Menge reckte Pechfackeln in die Höhe und brüllte drei Silben im Chor.
    »Ra! Ven! Na!«
    Ravenna wich zurück. Ihr Herz flatterte und sie hätte sich am liebsten unter dem Futtertrog im Stall oder in einem der riesigen Vorratsfässer verkrochen. Der Hexenbanner lächelte. »Weglaufen hat keinen Zweck«, erklärte er weich. »Wir sind gekommen, um dich zu holen, so wie es unser Meister befahl.«
    »Los! Nichts wie weg!«, zischte Yvonne. Sie packte Ravenna am Handgelenk und zerrte sie durch den Gang in den Innenhof. »Ich kenne diesen Kerl!«, stieß sie hervor, während sie nach einem Versteck Ausschau hielt.
    Ravenna lachte freudlos auf. Mit der Schulter bahnte sie einen Weg durchs Gedränge. »Lasst uns durch! Platz da!«, herrschte sie die Mädchen an, die kreuz und quer durch den Hof rannten. Mägde, beladen mit Säcken und Körben, schwankten zu den Kellerräumen. Der Konvent bereitete sich offenbar auf eine Plünderung vor.
    »Im Ernst: Ich kenne ihn!«, beharrte Yvonne und warf einen Blick über die Schulter. »Ein eiskalter Hund. Er hat Melisende verhört. Und gefoltert.«
    Ravenna fuhr herum. »Was? Wie kannst du das denn wissen? Du warst doch nicht dabei.«
    Yvonne verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »War ich doch«, gab sie zu. »Ich war schon einmal hier. Die Hypnose deines Doktor Corbeau hat mich für fast drei Stunden an Melisendes Stelle versetzt. Es war … eine Offenbarung.«
    »Yvonne!« Ravenna stöhnte auf. »Sag mir, dass das nicht wahr ist. Du hast Constantin belogen! Und die Hexen auch.«
    »Habe ich das?«, fragte Yvonne mit einem unschuldigen

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