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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Kreatur schlug die Krallen in Noranis Gewand und versuchte, ihr den Mund aufzuzwingen. Offenbar suchte er einen neuen Wirt, in den er schlüpfen konnte, ein neues Opfer, das er ersticken wollte. Die junge Hexe taumelte von dem Aufprall. Als ein Zehenglied zufällig eines der Hexenamulette berührte, kreischte der Dämon auf, aber er ließ nicht los, sondern grub die Klauen noch tiefer in Noranis Umhang.
    Blindlings tastete Ravenna nach dem Dolch, den sie wieder an ihrem Gürtel trug. Sie riss ihn aus der Scheide und rammte der Kreatur die Klinge unter den rechten Flügel. Bis zu den Knöcheln tauchte ihre Hand in wirbelnde Sandkörner, ihre Haut wurde aufgescheuert wie von grobkörnigem Schleifpapier. Dann stieß sie auf etwas Hartes. Der Dämon wurde von einer unsichtbaren Gewalt erfasst und in die Mitte des Kreises zurückgeschleudert. Wütend drehte er sich um die eigene Achse, seiner Schwanzquaste folgte eine Glutspur.
    Mit dem Ärmel wischte Norani Blut und Speichel vom Kinn und fluchte leise. »Dieser Hexenbanner muss ein wirklich übles Leben geführt haben«, stieß sie hervor. »Afarit ist ein Rachedämon, der Mörder und Unruhestifter aufsucht.«
    Ravenna presste die Zähne zusammen. Sie tat genau, was die anderen Hexen machten, von denen jede nun einen Fuß in den Kreis stellte. Dann drehten die Zauberinnen die Schultern blitzschnell nach innen. Die Siegel blitzten auf. Ein weißes Licht schoss nun von Hand zu Hand und der Dämon wich geblendet zurück.
    »Ich gebe dir ein Rätsel auf«, rief Norani dem Staubteufel zu. »Wenn du es löst, lassen wir dich frei. Dann kannst du meinetwegen durch die Wälder rasen und dein Unwesen treiben, wo immer es dir passt. Wenn nicht … du weißt ja selbst.« Norani nickte mit dem Kopf in Richtung Tempel und grinste.
    Der Dämon fletschte die Zähne. Ravenna schluckte, denn er entblößte gewaltige Hauer. Afarit sah aus wie ein Pavianmännchen, das seinen Artgenossen drohte. Ein gehörntes Pavianmännchen mit Flügeln und zweizehigen Hinterhufen.
    »Wer treibt das Rad des Himmels an: Tag oder Nacht?«, rief Norani. Ihre Stimme klang wie ein Gong. Der Dämon kreischte und stopfte sich beide Fäuste in die Ohren. »Wer dringt zuerst mit Mond und Sonne vor: Tag oder Nacht? Wer ist des Jahres erstes Kind: Tag oder Nacht?«
    Plötzlich beruhigte der Dämon sich. Er legte den Kopf schräg und schien in tiefes Nachdenken zu verfallen. Auch Ravenna ertappte sich dabei, wie sie über der Rätselfrage grübelte. Während sie noch dastand und überlegte, sammelte sich der magische Sturm über dem Dämon. Die Windhose senkte sich und hüllte das Ungeheuer in wirbelnden Sand ein.
    Mit einem einzigen, tiefen Atemzug senkten die Hexen die Arme, ihre Hände lösten sich und der Sturm flaute ab. Ravenna starrte in die Mitte des Kreises. Dort stand nun eine Skulptur, die auch ein Bildhauer nicht besser hätte anfertigen können: eine affenartige Kreatur aus Sandstein, aus deren Maul eine spitze Zunge ragte, mit Hörnern und zornigen Augenbrauen. Der Dämon war zu Stein erstarrt.
    »Sei gebannt!«, sagte Norani und tätschelte Afarit spöttisch zwischen den Hörnern. »Das Rätsel bindet alle deine Kräfte – und zwar für die Ewigkeit.« Dann bückte sie sich zu dem Hexenbanner, der neben der Figur auf dem Boden lag, öffnete das Gewand am Kragen und legte ihm zwei Finger auf die Halsseite. Seine Augen waren geschlossen und das Pentagramm an der Spitze des Stabs war verbeult und kalt.
    Norani hob den Kopf. »Er ist tot«, sagte sie. »Vielmehr: Er war schon tot, als er nach Straßburg kam. Beliar und sein Dämon haben eine leere Hülle benutzt.« Mit schmalen Augen musterte sie die Menge, die sich hinter den gekreuzten Schwertern der Ritter drängte. Plötzlich war es still in dem großen Innenhof. Die Linden rauschten.
    Katzenhaft sprang Norani auf und ging auf die Leute zu. »Er ist tot! Habt ihr das verstanden? Der Marquis hat einen Toten ausgeschickt, um euch zu foppen! Wer ist das überhaupt? Kennt jemand seinen Namen?«
    Ein Mann mit einem enormen, roten Bart meldete sich. Mit der Lederschürze, die er um die Hüften trug, sah er wie ein Schankwirt aus. »Er hat bei mir gewohnt, im Gasthaus zum Roten Ochsen. Damit bin ich gemeint«, setzte er schamhaft hinzu und einige Leute lachten. »Als der Hexenbanner ankam, gab er sich als Guy de Pegues aus.«
    Norani nickte. »Schön. Guy de Pegues aus Paris also. Irgendwo in der Stadt gibt es ein leeres Grab. Jemand wird ihn zurückschaffen

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