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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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müssen. Den Dämon behalten wir hier und setzen ihn auf die Dachkante an der Nordfassade. Zur Abschreckung, falls jemand aus Afarits weitläufiger Verwandtschaft auf dumme Gedanken kommt.«
    Knarrend näherte sich der Wagen des Leichenladers. Der junge Mann grinste vergnügt. »Ein leeres Grab in Paris?«, fragte er. »Habt Ihr wirklich Paris gesagt? Erlaubt, dass ich diese Aufgabe übernehme!« Norani zuckte die Achseln. Der Leichenlader scheute sich nicht, den Toten anzufassen, dessen Haut nun ganz ledrig aussah. Schaudernd erinnerte Ravenna sich an die Gräber, die sie in Beliars Mausoleum gesehen hatte und an die untote Leibwächterin, gegen die sie gekämpft hatte. Ein Gefühl des Grauens beschlich sie. Sie hatte Oriana zwar besiegt, doch nun begriff sie: Es war noch lange nicht vorbei. Beliar kontrollierte die Lebenden und die Toten gleichermaßen, solange er nur einen kleinen Strahl des magischen Stroms abzweigen konnte.
    Als der Leichenlader sich mit dem Karren einen Weg durch die Menge bahnte, wichen die Leute vor ihm zurück. Nicht wenige schlugen über der Leiche magische Zeichen. Ravenna wandte sich ab.
    Die Glaskuppel über dem Tempel war geborsten. Zwischen den Säulen quoll schwarzer Rauch hervor, und vereinzelt hörte Ravenna ein Schluchzen. Ihr war ebenfalls zum Heulen zumute, denn diese Feuersbrunst würden nicht einmal Viviale und die Wirtschafterin löschen können. Mit Decken und Eimern standen sie vor dem Gebäude und mussten zusehen, wie der Tempel ein Raub der Flammen wurde.
    »Alles in Ordnung mit dir?« Josce kam zu ihr und klopfte ihr mitfühlend auf die Schulter. »Vermutlich bist du ganz schön erschrocken. Schließlich war das der erste Dämon, dem du begegnet bist.«
    Mit gerunzelter Stirn starrte Ravenna auf ihre Finger. Die Haut über den Fingergelenken war abgeschürft und ihre Hand blutete. »Vielleicht«, murmelte sie. »Vielleicht war das mein erster.« Sie hob den Kopf.
    Die Jägerin musterte sie. »Eine Dämonenaustreibung kann einen ganz schön mitnehmen.«
    »Mir geht es gut«, murmelte Ravenna. Sie starrte auf den Staubteufel, der in nachdenklicher Pose auf dem Boden kauerte. Trotz Noranis Versicherungen wurde sie den Eindruck nicht los, dass ein schwaches, rotes Glühen in seinen Augen lag.
    O Mann, sagte sie sich. Und du dachtest früher, Kopfschmerzen wären ein Problem.

Das Licht von Samhain

    Die Kopfschmerzen waren ein Problem. Die bleierne Müdigkeit auch. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Bitterer Rauch hing über dem Innenhof und brannte Ravenna in den Augen. Alles roch und schmeckte nach Asche. Vom Tempel waren nur noch die nackten Außenwände übrig, doch es war Viviale gelungen, den Brand einzudämmen und ein Übergreifen auf die anderen Teile des Konvents zu verhindern.
    Das war die gute Nachricht.
    Die schlechte lautete, dass man die Rauchwolken in der Abenddämmerung vermutlich meilenweit gesehen hatte. Bestimmt wusste ganz Straßburg mittlerweile, dass es einen Überfall auf den Hexenkonvent gegeben hatte, und man hatte die Nachricht zweifellos bis zu den benachbarten Burgen getragen. Beliar wusste also Bescheid.
    Ravenna blickte zu Lucian hinüber, der mit den anderen Rittern in der Asche stocherte, um von den Schätzen des Tempels zu retten, was zu retten war. Sie erinnerte sich an seine Begeisterung für Kräne, Bagger und Gabelstapler. Jetzt wäre schweres Gerät vonnöten gewesen, um den Schutt beiseite zu räumen, doch stattdessen mussten Constantin und seine Männer warten, bis die Trümmer ausgeglüht waren und sie dann von Hand auf Holzkarren laden.
    Yvonne hockte auf der Lehne einer Bank. Die Füße auf den Sitz gestemmt und das Kinn aufgestützt, starrte sie ins Leere. Es bot sich ihr ein unheimliches Bild, denn die Blätter der Linde, unter der die Bank stand, waren im Feuersturm verglüht.
    »Weiß jemand, wie man dieses Ding an der Wand befestigt?«, fragte Norani. Nachdenklich umrundete sie den Dämon aus Sandstein, der im Hof des Hexenkonvents kauerte. In dieser Haltung verblieb er nun – zumindest, bis ihm Abgase, saurer Regen und Taubendreck den Rest gaben.
    Langsam hob Ravenna die Hand. »Ich«, sagte sie, als die Hexen auf sie aufmerksam wurden. »Ich bin Steinmetzin. Im richtigen Leben, meine ich.«
    Norani lachte rau. »Glaub mir: Das ist das richtige Leben.«
    Jemand brachte eine Leiter, Seile und eine hölzerne Rolle. Die Hexen fassten mit an, um den versteinerten Dämon mittels des Flaschenzugs auf den Sims der nordöstlichen

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