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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Fassade zu heben. Ravenna stieg auf die Leiter und ließ sich passendes Werkzeug reichen, außerdem Eisenstifte und Stahlspangen. Sie gab sich große Mühe, Afarit so sicher wie möglich in der Wand zu verankern. Während sie arbeitete, versuchte sie, den zertrampelten Garten unter ihr auszublenden, über den sich die Dämmerung senkte. Zuletzt reichte Norani ihr ein langes Bleirohr herauf.
    »Ständig Wasser in der Kehle und jeden Morgen den Sonnenaufgang vor Augen …« Genüsslich malte sie sich die Strafe aus, die den Dämon treffen würde. Als sie den Dolch sah, der in der Lederscheide an Ravennas Gürtel steckte, verzog sie das Gesicht.
    »Danke übrigens«, brummte sie. »Du hast gut reagiert. Afarit ist ein ziemlicher Brocken. Deshalb ist er mir auch beim ersten Mal entwischt. Viele bezeichnen ihn als Beliars Hofhund. Bei meinem Volk heißt es, er bewacht die Geisterberge. Der Marquis würde die Welt zu gerne mit Kreaturen wie ihm bevölkern, aber solange ich atme, werde ich es verhindern.«
    Ravenna nickte. Geduldig schob sie das Rohr in den Schlund des Dämons und verband den hinteren Zulauf mit den Wasserrinnen, die an der Traufe des Gebäudes verliefen. Die Schülerinnen des Konvents leuchteten ihr dabei mit großen Laternen, die sie an Stäben zu ihr emporreckten. Dann stieg sie von der Leiter und betrachtete den versteinerten Dämon, aus dessen Maul nun Wasser tröpfelte. Täuschte sie sich oder verzerrten sich seine Züge mit jedem Tropfen zu einer angewiderten Fratze?
    »Und das Rätsel hält ihn dort oben fest?«, fragte sie. »Bis in alle Ewigkeit, meine ich?«
    »Bis die Hölle zufriert«, versicherte Norani. »Denn das Rätsel hat keine Lösung. Es ist wie mit der Henne und dem Ei. Niemand kann sagen, was zuerst da war.«
    Ravenna nickte.
    Sie fand Lucian beim Eingang, wo er einen letzten Handkarren mit Schutt und Asche ausleerte.
    »Hör zu«, sagte sie. »Wir müssen reden.« Seine Wangenmuskeln spannten sich an. »Das ist ein schlechter Zeitpunkt.«
    »Es ist immer ein schlechter Zeitpunkt.«
    Mit einem gereizten Seufzen kippte Lucian den Karren zurück in die Ausgangslage und ließ die Griffe los. »Was gibt es?« Es klang so ungefähr wie: Warum gehst du mir auf die Nerven? Ravenna presste die Lippen aufeinander.
    »Was war denn vorhin los? Statt Constantin zu erzählen, was Yvonne angestellt hat, ergehst du dich in irgendwelchen Ausreden. Du hast gesagt, es wäre zu ihrem Besten, wenn sie vor dem Hexengericht aussagt, aber ich kann nicht erkennen, wie du meiner Schwester helfen willst, indem du sie deckst.«
    Lucians Gesicht wurde eine Spur dunkler. »Ich decke sie nicht. Es ist wahr, dass der Dolch beschlagnahmt wurde.«
    »Darum geht es doch nicht«, warf Ravenna aufgebracht ein. »Du … du starrst sie an, als hätte sie dir den Verstand ausgesaugt. Und dann behauptest du, du könntest dich an nichts mehr erinnern. Da stimmt doch etwas nicht.«
    Lucian stellte einen Fuß auf das Holzrad des Karrens und starrte sie an. »Corbeau war Euer Therapeut, richtig? Ihr seid monatelang in seiner Villa ein und ausgegangen. Das ist doch richtig, oder? Ihr habt ihm Zugang zu Euren geheimsten Gedanken und Wünschen gewährt. Zu Euren Sehnsüchten, Euren Träumen. Leichtsinn ist die beste Voraussetzung, um ein Opfer schwarzer Magie zu werden.«
    Ravenna wich einen Schritt zurück. »Willst du damit sagen, ich sei genauso verdächtig wie Yvonne? Nicht ich habe mich von ihm hypnotisieren lassen, sondern sie!«, fauchte sie. »Vielleicht fragst du besser sie nach ihrer Beziehung zu Beliar! Meine kleine Schwester hat das Hexengericht nach Strich und Faden belogen, während du sie nur angestarrt hast, als stünde ein Engel der Unschuld vor dir. Verdammt, ich kenne diesen Blick! Ich habe ihn an Mathis gesehen, an Maurice, Marcel und wie sie alle hießen!«
    Mit dem Handrücken wischte Lucian sich über die Stirn. Dadurch verwischte er die schmutzigen Schlieren in seinem Gesicht noch mehr. »Ihr seid eifersüchtig.«
    »Bin ich nicht. Oder habe ich etwa einen Grund dazu?«
    »Ich weiß wirklich nicht, warum ich Constantins Fragen nicht beantworten konnte«, gestand der Ritter. »Das ist … da war eine Blockade. Ich musste immer nur an Yvonne denken und daran, wie sie mir in den Wochen während Eurer Abwesenheit geholfen hat.«
    »Du musstest an sie denken.« Irgendwie gelang es Ravenna, dass ihre Stimme nicht zitterte. »Was habt ihr beiden eigentlich so getrieben, während ich in der Klinik war? In dieser

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