Die Hexen - Roman
war. »Bitte«, sagte sie. »Denkt doch mal nach! Ich bin Beliar schon einige Male begegnet und war immer ganz allein. Damals hatte ich keine Ahnung, wer er ist. Oder wer ich bin. Aber jetzt … jetzt weiß ich, was ich tun muss, um ihn aufzuhalten.«
Sie holte Melisendes Siegel aus dem Beutel an ihrem Gürtel und wog es in der Hand. »Ich möchte, dass ihr den Fackelzug wie geplant fortsetzt. Reitet zum Hohen Belchen und erteilt Land und Leuten den Segen, so wie ihr es immer getan habt. Die Magie fließt doch auch, wenn es in meinem Namen geschieht, oder?«
Die Sieben berieten sich halblaut. Offenbar war es noch nie zu einem solchen Vorfall gekommen. Schließlich kratzte Mavelle sich am Kopf. »Es käme auf einen Versuch an«, meinte sie.
»Schön.« Ravenna nickte. »Ich möchte, dass Millie mich als Maikönigin vertritt, und zwar bis ihr auf dem Berg seid. Ich habe einmal einen sehr dummen Schwur geleistet, den ich jetzt gerne aufheben möchte: Ich habe die Schwertleite nicht verpasst, ich bin der Liebe meines Lebens begegnet, und wenn ich kann, werde ich an Mittsommer bei euch sein – zusammen mit Yvonne und Lucian. Das verspreche ich. Wenn nicht …« Sie zuckte die Achseln. »Dann müsst ihr das Ritual eben ohne mich abhalten.«
Die Hexen starrten sie an. Sie ging zu Millie und drückte ihr das Siegel des Sommers in die Hand. Das Pferdegesicht des Mädchens wurde noch länger und sie musterte Ravenna ungläubig.
»Ich weiß nicht«, brummte Aveline. »Millie hat noch nicht genug Erfahrung.«
Ravenna legte der jungen Hexe die Hände auf die Schultern. »Millie – wie lange lebst du schon in dem Konvent?«
»Fünf Jahre.« Die Antwort kam prompt.
»Fünf Jahre.« Ravenna nickte. »Also, für mich klingt das nach einer Menge Erfahrung. Jedenfalls ist es deutlich mehr als die Handvoll Tage, die ich bei euch verbracht habe.«
Schweigen. Millie drehte das Siegel in den Händen. Constantin hörte mit gerunzelter Stirn zu. Die Ritter warteten im Schatten unter dem Tor.
»Ich werde euch etwas sagen«, fuhr Ravenna fort. »Ihr habt euch einfach darauf verlassen, dass die Hexengöttin mich rechtzeitig annimmt, weil ich eurem Ruf durch das Tor gefolgt bin. Deshalb diese übereilte Einweisung in die Geheimnisse des Konvents, das Turnier, der Tag am Maistein und so weiter. Aber nach allem, was ich von euch gelernt habe, ist mir eines klargeworden: Es könnte genauso gut Millie sein, die Morrigan als eine der Sieben auswählt. Oder Fianna. Oder Jaqueline.« Der Reihe nach deutete sie auf die jungen Hexen, die entweder rot wurden oder sie durchdringend musterten.
»Niemand kann vorhersehen, ob die Anerkennung durch die Göttin geschieht oder wann oder warum überhaupt. Vielleicht ist es jemand, an den wir überhaupt nicht denken! Offensichtlich ist die ganze Sache ein Mysterium, das weder ihr noch ich verstehen.«
Bei diesen Worten zwinkerte sie Norani zu. Während einer Strafarbeit im Taubenschlag … du liebe Zeit. Die Wüstenhexe grinste. »Ravenna hat Recht«, meinte sie. »Es könnte jede von uns treffen. Außer Constantin.«
»Bewahre«, murmelte der König. »Oder seht Ihr mich mit einem Blumenkranz und einem Kleid?«
Das Gelächter löste die Anspannung, die die Zuhörer erfasst hatte. Ravenna drückte Millie den Silberring in die Hand und schloss ihre Finger um das Siegel. Gleichzeitig murmelte sie sehr leise: »Fyr fleogan.« Die Glühwürmchen, die plötzlich um Millies Haupt schwirrten, ähnelten dem magischen Segen nicht im Entferntesten, doch unter den Hexen lösten sie großes Erstaunen aus.
»Das Licht von Samhain«, seufzte Esmee. »Es ist ein Zeichen.«
»Alles Gute«, sagte Ravenna und drückte Millies Hände. »Und viel Glück.« Die junge Hexe umarmte sie zum Abschied. »Hoffentlich kann ich dir das Siegel bald wieder zurückgeben«, flüsterte sie.
Inzwischen hatte Ramon Lucians Schwert an ihrem Sattel befestigt, und zwar so, dass sie den Griff mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte. »Seid Ihr sicher, dass ich Euch nicht begleiten soll?«, fragte er.
Ravenna nickte, als sie nach den Zügeln griff. Der Sattel knarrte, als sie aufsaß. »Ganz sicher. Du und deine Freunde, ihr habt genug zu tun, die Sieben sicher zum Tanzplatz zu begleiten.«
»Gebt auf Euch Acht«, mahnte Ramon. »Wenn Euch etwas zustoßen sollte, wird Lucian sehr wütend werden. Und ich meine: sehr, sehr wütend.«
Ravenna nickte. Ihr Hals war wie zugeschnürt, als sie an die Blödeleien dachte, mit denen sich die
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