Die Hexen - Roman
Dämon besessen und er fährt auch nicht in andere Leute, um sie zu Wahnsinnstaten zu treiben. Er ist einer der vier Fürsten.«
Mit einem gedehnten Atemzug lehnte Ravenna sich auf die Dielenbretter. Langsam klärten sich ihre Gedanken und ihr Verstand begann wieder zu arbeiten. Der Grips einer Hexe. »Die vier Fürsten? Ich habe noch nie davon gehört. Oder doch …« Sie rieb sich über die Stirn. »Marvin hat sie einmal erwähnt.«
»Die Fürsten der Hölle sind Beliars persönliche Diener«, erklärte Ramon. »Niemand steht ihm näher als sie. Es sind mächtige Hexer und Magier, und es heißt, ohne ihre Hilfe könne Beliar sein Reich nicht errichten. Für ihre Treue hat er ihnen einen Anteil an der Macht versprochen. Sie erhalten ihren Lohn, sobald er sein Ziel erreicht hat: die Herrschaft über unsere Welt.«
Ravenna schauderte. »Ein Stück der Hölle als Belohnung?« Dann dachte sie über das nach, was Ramon soeben gesagt hatte. »Beliar will den magischen Strom an sich reißen, um über die Welt zu herrschen? Das ist sein Vorhaben?«
Der junge Ritter nickte. Sie fröstelte wieder. Das also war es, was Beliar unter dem perfekten Dasein verstand: eine Welt ohne Licht und Glück, so grausig wie die Blutburg in der düsteren Schlucht nahe Carcassonne – jener Ort, an dem Lucian als Junge gelebt hatte. Das Tal der Ratten. Und zwar überall.
»Ist das krank«, stieß sie hervor.
»Es bedeutet unumschränkte Macht«, erklärte Ramon. »Kein Mensch kann sich vorstellen, welche Möglichkeiten Beliar und den Fürsten offenstünden, sobald sie über den Strom gebieten. Ich möchte es mir auch gar nicht ausmalen.«
»Eines begreife ich nicht«, murmelte Ravenna. »Was habe ich damit zu tun? Ich meine, was will Beliar eigentlich von mir?«
Im schwachen Licht warf Ramon ihr einen Blick zu. »Zwei der Fürsten sind Frauen«, erklärte er.
Ravenna fluchte und sprang auf. »Ein Rabe ist ein Rabe«, keuchte sie. Ratlos blickte Ramon zu ihr auf. »Deshalb hat mich der Hexenbanner, dieser Guy aus Paris so gerufen! Raven. Rabe. Er wollte mich nicht umbringen oder ins Hexenfeuer werfen, sondern zu Beliar schaffen, damit ich ihm bei seinem Vorhaben diene. Wir sind gekommen, um dich zu holen. Und deshalb hat auch …«
Sie verstummte. Plötzlich durchschaute sie den ganzen widerwärtigen Plan, den der Marquis ausgeheckt hatte, einen Plan, der mehr als siebenhundert Jahre umspannte. Beliar hatte Velasco ausgesandt, damit dieser in ihre Wohnung einbrach, sie fast zu Tode erschreckte und sie ihrem ärgsten Widersacher in die Arme trieb – in Gestalt des gesprächigen und mitfühlenden Psychotherapeuten Doktor Corvin Corbeau. Monatelang hatte er sie ausgehorcht, sie mehr gequält als geheilt und sie so stark verunsichert, dass sie einen Abend lang ernsthaft über eine Hypnose nachdachte. Aber die Hypnose war keine Hypnose, sondern ein Zeittor – das hatte Yvonne ihr bestätigt. Wenn Ravenna damals zugesagt hätte, wäre sie vermutlich irgendwo auf der Festung Hœnkungsberg erwacht, ohne einen blassen Schimmer, wie es dazu hatte kommen können. Dann, als sie in der psychiatrischen Klinik eingesperrt war, versuchte Beliar zum zweiten Mal an sie heranzukommen, doch wieder war sie ihm entwischt. Wenn sein Plan damals aufgegangen wäre, hätte er sie zu seiner Gespielin gemacht, zu seiner Gefährtin wie …
»Elinor. Oder Lynette. Wer von beiden ist die andere Frau? Und weil ich nicht mitspiele, ist Yvonne jetzt als zweite Teufelsbraut ausersehen?«
»Das wissen wir nicht genau.« Ramon ächzte leise, als er aufstand. Rasselnd rutschte das Kettenhemd an seinem Körper herab. »Mit Sicherheit wissen wir nur, dass Velasco einer der Höllenfürsten ist. Der andere ist ein Mann namens Damian.«
Ravenna fühlte ihren Puls bis in die Fingerspitzen pochen. »Was hat er vor? Mit Lucian, meine ich.«
Im Zwielicht, das durch das geborstene Dach hereinfiel, blickte Ramon ihr in die Augen. »Sie hassen sich. Lucian und sein Vater sind Erzfeinde.«
»Ist mir auch schon aufgefallen«, murmelte Ravenna.
»Ich habe keine Ahnung, was Velasco plant, aber ich weiß, was Euer Gefährte vorhat: Er will die Seele seines Vaters auslöschen. Für immer.« Als Ramon Ravennas verstörten Blick sah, erklärte er: »Es ist beim ersten Mal nicht gelungen, den Hexer zu töten. Damals in Carcassonne wusste Constantin nicht viel über die vier Fürsten und hatte nicht bedacht, dass der Burgherr aus dem Tal des Schreckens weiterleben könnte. Auf eine …
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