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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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monatelang belagert. Und jetzt willst du sie in einer Nacht erobern – allein?
    Plötzlich merkte sie, dass sie sich mit Willow völlig im Freien befand. Das Mondlicht schimmerte auf dem weißen Pferdefell. Hastig wendete sie die Schimmelstute und zog die beiden Handpferde unter die Bäume.
    »Von jetzt an seid ihr auf euch gestellt«, keuchte sie, als sie absaß. Sie schlang die Zügel lose um einige Äste. Für eine Weile würden die Pferde damit beschäftigt sein, das Gras in der Umgebung abzuweiden. Sobald sie nichts mehr zu fressen fanden, würden sie unruhig werden und sich befreien. Genau das lag auch in Ravennas Absicht: Wenn sie nicht in den nächsten Stunden zurückkehrte, kam sie nie wieder und dann war es besser, wenn die Schimmel nicht verhungerten, sondern den Weg zu ihrer Herde fanden.
    »Passt gut auf euch auf«, murmelte sie und tätschelte Willows Hals. Die Stute musterte sie aus ihren großen, klugen Augen. Ravenna nahm Lucians Wehrgehänge vom Sattel und schnallte es sich um. Das Gurtzeug war schwer und viel zu groß, die Schwertscheide schleifte auf dem Boden. Vor Aufregung begann sie zu schwitzen, während sie sich mit den Gurten abmühte und die Riemen enger zog. Das Leder ließ sich schwer bewegen, denn die Löcher, in die sie den Dorn gleiten ließ, hatte Lucian nie benutzt. Zuletzt zog sie das Schwert. Es lag gut in der Hand und war ausgewogener, als sie erwartet hatte. Sie stellte sich vor, dass sie die Klinge im Notfall wie einen Fäustel schwingen würde – zumindest darin war sie gut.
    Sie schob die Waffe in die Scheide zurück und rückte den Gurt auf ihrer Hüfte ein letztes Mal zurecht. Nachdem sie zwischen den Pferden eine Abschiedsrunde gedreht hatte, schritt sie auf die Burg zu. Beliars Festung erinnerte sie an ein gewaltiges Schiff: Im Osten ragte eine Felsnase wie ein Bug über das Tal. Dort lagen die Schanze und die ersten Verteidigungsanlagen. Von der Seite sah es aus, als würde man auf die Bordwand eines Ozeanriesen zugehen.
    Immer wieder musste Ravenna über umgestürzte Bäume klettern und sich durch ein Gewirr von Ästen kämpfen. Mehrmals blieb sie mit dem Rock hängen und schürfte sich die Hände auf. Ein Stück unterhalb des Gipfels sah sie die Überreste der Belagerungsburg: ein verfallener Turm, eine weggesprengte Brücke und der gebrochene Arm der Schleuder, der über die Mauer hing. Als sie auf den Hexenberg kam, hatten hier noch einige wagemutige Männer ausgeharrt. Nun war die Trutzburg verlassen.
    »Unsere Schüsse waren ungefähr so wirksam wie ein Ei, das man gegen eine Wand wirft.« Marvin hatte das einmal zu ihr gesagt und mit dem Mund das Geräusch einer zerplatzenden Schale nachgeahmt. Außerdem hatte er sie vor Falltüren und Spiegeln gewarnt. »Gehe niemals an einem unverhüllten Spiegel vorbei – Beliar könnte dich darin sehen. Er benutzt eine Art Stein, um seine Gegner auszuspionieren. Man nennt ihn das Auge des Teufels.«
    Als Ravenna an die Worte des Spähers dachte, spürte sie, wie sie sich vor Aufregung so klein wie möglich machte. Die Felsenburg ragte über ihr in den Nachthimmel. Sie selbst war daran gemessen nicht größer als eine Mücke. Aber auch eine einzelne Mücke bringt einem Mann eine Menge Beulen bei, bevor er sie erwischt, dachte sie. Und genau das hatte sie vor: die Mücke zu sein, die zustach, wenn Beliar nicht Acht gab.
    Eine letzte, steile Flanke noch, dann hatte sie den Pfad erreicht, der sich um den Fuß des Burgfelsens wand. Ravenna blieb stehen und schöpfte Atem. Der Hexenmantel verbarg sie vor neugierigen Blicken. Ihr war oft aufgefallen, wie die Umhänge der Sieben mit Regen, Nebel oder Schatten zu verschmelzen schienen. Ein Zauber war in den Wollstoff gewebt, da war sie sich sicher. Sie zog die Kapuze tief ins Gesicht. Dann kauerte sie sich auf die Fersen nieder und suchte einen scharfkantigen Stein.
    Sobald sie ihn gefunden hatte, ritzte sie mit der Kante jene Schriftzeichen in den Untergrund, die sie auf Mavelles Ring gesehen hatte, auf dem Siegel von Samhain. Sie konnte die Hexenschrift nicht entziffern, doch sie wusste, dass die Runen das Wissen über die jeweilige Magie enthielten. Deshalb kopierte sie die Zeichen so sorgfältig wie möglich und ritzte auch eine Windrose und ein geöffnetes Auge in den Staub.
    Dann warf sie den Stein fort und hielt beide Hände über die Zeichnung, als würde sie eine bauchige Vase umfassen. »Zeige dich und führe mich«, flüsterte sie. Sie wiederholte diesen Spruch dreimal und

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