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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Ihre Stimme umschmeichelte Ravenna wie das verschlafene Gurren einer Taube, halb Gesang, halb magischer Spruch. Ohne dass sie es wollte, fühlte Ravenna, wie sie eine große Müdigkeit überkam, ein Gefühl der Geborgenheit, das ihre Sinne verschwimmen ließ.
    Elinor verhext dich!, mahnte sie sich, doch nicht einmal der Schreck darüber vermochte sie aus ihrer Benommenheit zu reißen. Panik erfüllte sie, aber sie konnte nichts tun, als Elinor sie am Handgelenk packte. Von den Fingern der Marquise ging die Magie unmittelbar ins Blut über, sie strömte in Wellen durch Ravennas Körper und lähmte jegliche Willenskraft. Mit überraschender Kraft bog Elinor ihren Arm zur Seite, so dass das Schwert in eine andere Richtung zeigte. Dann drängte sie Ravenna in die Ecke hinter dem Treppenturm.
    »Still«, hauchte sie ihr ins Ohr. »Sei still! Neuerdings gibt es in dieser Burg Gäste, vor denen selbst ich mich in Acht nehmen muss.«
    Ravenna ächzte. Ihr Kopf drehte sich, so stark war der Bann, den die Hexe vom Hœnkungsberg über sie warf. Elinors Atem roch nach welken Blumen und sie war so mager, dass es wehtat, sie anzuschauen.
    Eine Tür schlug. Schritte hallten unten im Hof und Metall klirrte leise. Zwei Stimmen drangen in das Versteck hinter dem Turm. »Lucian ist zäher als gedacht«, hörte Ravenna die eine Person sagen. »Ein anderer an seiner Stelle würde vermutlich längst um Gnade betteln, doch er bleibt stur.«
    »Er hat zu lange bei den Hexen gelebt«, gab eine andere Männerstimme erbost von sich. »Doch keine Angst, mein Sohn wird sich schon noch besinnen. Gib mir noch ein paar Stunden Zeit, dann wird er sich wünschen, einer von uns zu sein.«
    Ravenna begann zu schwitzen. Kein Zweifel, diese Stimme gehörte Lucians Vater. Velascos tiefe Tonlage hätte sie unter tausend anderen Stimmen wiedererkannt. Den anderen Mann kannte sie nicht und sie verstand auch nicht, was er zuletzt erwiderte. Ihr Puls dröhnte viel zu laut in ihren Ohren. Dann schlug eine weitere Tür ins Schloss, und es wurde still.
    Langsam rutschte Ravenna an der Wand herab, das Schwert sank kraftlos auf die Holzdielen der Galerie. Lucian lebte noch – das war die gute Nachricht. Doch sie hatte sich überschätzt, hatte in der Begeisterung, die das Licht von Samhain in ihr auslöste, angenommen, sie besäße Nerven und Ausdauer genug, um dieses Abenteuer zu bestehen. Jetzt erkannte sie, dass es ein Trugschluss war: Sie war noch nicht einmal eine mittelmäßige Hexe. Sie war nur eine junge Frau aus dem Straßburg des Jahres 2011, die sich in einem nicht enden wollenden Alptraum verlaufen hatte.
    Elinor fasste sie am Handgelenk und zog sie auf die Füße. »Reiß dich zusammen und steck endlich diese Klinge weg!«, zischte sie Ravenna ins Ohr. Ihr Mund war zu einem wütenden Strich zusammengepresst, doch der Bindezauber, den sie über Ravenna geworfen hatte, verlor allmählich seine Wirkung.
    Die Marquise musste keinen Zwang anwenden, damit Ravenna ihr über die Galerie folgte. Ihr war klar, dass es aus diesem Burghof keinen Ausweg gab. Mit zitternden Händen suchte sie nach der Lederscheide, doch sie brauchte mehrere Anläufe, bis der Stahl hineinglitt. Elinor öffnete eine Tür, winkte sie hindurch und trat hinter ihr ein.
    Ravenna blinzelte überrascht: Der Raum war wohnlich eingerichtet. Ein Feuer knisterte im Kamin und auf dem Boden lagen Teppiche. Vor der Feuerstelle standen zwei Sessel mit bequemen Armlehnen, deren Bezug mit großen Nägeln befestigt war. Eine Laterne hing von der Decke. Sie drehte sich im Luftzug und durch das Buntglas huschten Lichttupfen über die Wände. Neben Truhen und Schränken gab es ein Himmelbett mit einem Überwurf aus Fellen und lavendelfarbener Seide. Auf der Bank in der Nische am Fenster lag eine Laute mit kunstvoll verziertem Schallloch und eine Harfe stand neben dem Bett auf dem Fußboden. Außerdem entdeckte Ravenna Schalmeien, ein Hackbrett, eine Fidel und eine Drehleier. Es war eine kostbare Sammlung, die Elinor zusammengetragen hatte.
    »Du magst Musik?«, rutschte es Ravenna heraus. Im nächsten Augenblick hätte sie sich am liebsten geohrfeigt. Wie konnte sie nur eine derart einfältige Bemerkung von sich geben?
    Elinor lachte leise. »Ich mag Magie. Alles, was du hier siehst«, sie ließ die Finger über die Saiten des Hackbretts gleiten, so dass ein unharmonischer Akkord erklang, »dient dazu, den Kraftstrom zu lenken und Dinge zu bewirken, die sich ein gewöhnlicher Mensch nicht einmal

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