Die Hexen - Roman
sie trat, vermutlich, um sie vor dem letzten Feind zu beschützen, der weder gefangen noch gestorben war.
Damian war nicht der Einzige, der an diesem Abend zu Boden gegangen war. Die Schlacht hatte außerhalb des Steinkreises stattgefunden, so dass Ravenna nur Schatten und Schemen sah und gelegentlich ein Stöhnen hörte: Hier war Nevere mit ihrer Tasche auf dem Weg zu den Verwundeten. Dort stand Constantin, die Schwertspitze auf den Kehlkopf des gegnerischen Hauptmanns gesenkt. Die Schneide war so scharf, dass sie die Schnüre durchtrennte, mit denen die lederne Kappe unter dem Dämonenhelm des Besiegten festgezurrt war. Beides, Helm und Kappe, kollerten ins Gras und enthüllten ein Gesicht, das ebenso verstört wie verängstigt aussah.
Durchaus möglich, dass die Krieger vom Hœnkungsberg Beliars Stimme ebenfalls in ihrem Kopf gehört hatten, dachte Ravenna. »Was willst du von mir?«, fragte sie, als sie sich über den Liegenden beugte. Sie hatte weder Lust noch Kraft, sich mit einem von Beliars Vasallen zu unterhalten, doch dann sah sie nur einen jungen Mann, der nach Luft rang und wusste, dass dies seine letzten Atemzüge waren. Damians Wunde blutete nicht. An den Rändern zeigte sich ein seltsamer, goldener Schimmer. Voller Unbehagen fragte sich Ravenna, womit Lucian sein Schwert pflegte, ehe er es wegsteckte. Einfaches Öl war es bestimmt nicht.
»Dein Gefährte hat mir einen Gefallen getan.« Sie konnte kaum verstehen, was der Verletzte sagte und las teilweise von seinen Lippen ab. »Lucian hat mich von dem Bann des Marquis erlöst. Deshalb will ich dir auch etwas geben. Yvonne …«
Damian verstummte. Seine Lider flatterten. »Red weiter!«, forderte Ravenna ihn auf. »Wo ist meine Schwester? Wohin ist Yvonne geritten?«
Und dabei hasst sie Reiten, schoss es ihr durch den Kopf. Bei der Erinnerung an die alltäglichen Streitereien stiegen ihr die Tränen in die Augen. Plötzlich hatte sie Angst, dass Damian starb, bevor er ihr sagen konnte, was aus ihrer Schwester geworden war. Andererseits konnte er wohl kaum sterben. Beliar hatte seine untoten Fürsten mit Bedacht ausgewählt.
Der magische Schimmer breitete sich immer rascher auf Damians Brustkorb aus, die Luft über der Gestalt flimmerte. Bald war er nur noch eine Spiegelung aus einer anderen Welt, ein Geist, der langsam verging. Beherzt legte ihm Ravenna die Hand auf die Schulter. Magie strömte kühl über ihre Finger und ihr war, als berührte sie Eis.
»Damian. Was ist mit Yvonne?«
Ein verklärter Ausdruck stand in seinen Augen. »Sie wird ihm bedingungslos folgen. Sie folgt Beliar, wohin er auch geht, denn sie ist an ihn gebunden. Mir erging es ähnlich, doch nun … ahhhh. Chchch.«
Damians Stimme war nur noch ein Hauch, der aus der Nacht wehte. Ravenna blinzelte mehrmals, doch der Platz vor dem Menhir war leer. Einige Herzschläge lang kauerte sie auf den Fersen und vergrub das Gesicht in den Händen. Dann hob sie den Kopf.
Lucian und Ramon standen in der Nähe an einem Menhir. Offenbar versuchte der einäugige Ritter seinen Freund zu trösten. Mit versteinertem Gesicht wischte Lucian das Schwert ab und wollte es in die Scheide stecken, doch er griff ins Leere. Stirnrunzelnd drehte er sich zu Ravenna um. Sein Gurtzeug schlackerte noch immer um ihre Hüften, sie hatte keine Gelegenheit gehabt, es ihm zurückzugeben. Und dann begriff sie: Er war gar nicht darauf aus gewesen, Velasco zu töten. Er wollte seinen Vater erlösen, so wie er es für Damian getan hatte.
Taumelig kam sie auf die Füße. Sie hätte gerne etwas Aufmunterndes zu ihm gesagt, doch sie war viel zu müde, und in ihrem Kopf hallten noch immer die Geräusche der vergangenen Schlacht. Er war unfähig, sich umzudrehen und sie in den Arm zu nehmen, als sie sich an ihn lehnte, und er brachte kein Wort heraus, als sie seinen Namen flüsterte.
Doch es machte ihr nichts aus. Sie kannte ihn mittlerweile auch von seiner schweigsamen und verstimmten Seite. In diesem Augenblick wollte sie nur seinen Herzschlag spüren und sich vergewissern, dass er am Leben war. Es ist vorbei, dachte sie, als sie den Kopf an seine Schulter sinken ließ. Es ist wirklich vorbei.
Ein fast perfekter Augenblick
Im Mondschein erforschte sie die Megalithanlage. Das Bauwerk war gewaltig und nahm die gesamte Kuppe des Hohen Belchen ein. Vom Gipfel führten mehrere Bogen aus stehenden Steinen fort. Sie bildeten die Arme einer dreifachen Spirale. Ravenna schluckte, als sie erkannte, wo sie stand: Das
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