Die Hexen - Roman
ausharren musste, bis das Gewitter vorübergezogen war.
Hektisch trabte der Wallach durch den Wald. Der Wind blies Ravenna ihre Haarsträhnen in die Augen. Immer wieder duckte sie sich unter tief hängenden Zweigen und konnte einige Trabschritte lang nichts sehen. Als das Pferd scheute und sich heftig zur Seite warf, gelang es ihr gerade noch, sich an der Mähne festzuklammern.
»Ruhig, Johnny, immer ruhig Blut! Was machst du denn für Sachen?« Keuchend stützte Ravenna sich auf den Hals des Pferdes und setzte sich zurecht. Die Bäume ächzten mittlerweile in den Windstößen und unter den Zweigen war es so düster wie nach Einbruch der Dämmerung. Ihre Armbanduhr zeigte jedoch erst Viertel nach vier. Plötzlich entdeckte sie im Halbdunkel ein mattes Leuchten. Aus dem Waldboden sprossen nebelgraue Pilze und bildeten einen dichten, gleichmäßigen Kreis. Die Erscheinung hatte einen Durchmesser von mehreren Schritten und glühte in einem geisterhaften Licht.
Ein Hexenring! So wurde dieses Phänomen im Volksmund genannt. Für das kreisförmige Wachstum der Pilze gab es einen triftigen Grund, ebenso wie für das geheimnisvolle Glimmen. Biolumineszenz, dachte Ravenna, leuchtende Pilze. Darüber habe ich schon einmal einen Artikel gelesen. Dennoch kroch ihr ein Schauer über den Rücken.
Sie straffte die Zügel und trieb das Pferd an. Aber der gutmütige Tinkerwallach weigerte sich und wollte nicht weitergehen. Als Ravenna ihn energischer vorantrieb, stieg er senkrecht auf die Hinterbeine und kam dem abschüssigen Hang gefährlich nahe.
»Johnny, verdammt, willst du, dass wir uns den Hals brechen?«, schrie sie. Sie hatte den Tinker noch nie geschlagen, doch jetzt versetzte sie ihm mit den Zügelenden einen Streich über die Kruppe. Erschrocken machte der Wallach einen Satz nach vorn und landete mit den Vorderhufen innerhalb des Hexenrings.
Etwas Merkwürdiges geschah.
Ravenna hatte das Gefühl, sie würde in die Luft geschleudert, aber es war kein gewaltsames Ereignis, sondern ein sanftes Gleiten. Sie schwebte wie am Rand eines Traums. Lichtfunken glühten auf und schwirrten langsam an ihr vorbei. Der Donner grollte in immer größerer Entfernung und verstummte schließlich ganz. Leicht wie eine Feder glitt sie zu Boden.
Als sie die Augen aufschlug, war der Wald dunkel und windstill. Sie blickte hinauf zu den Baumkronen und sah Sterne zwischen den Zweigen blitzen. Dies war kein Traum, das spürte sie an ihren ausgekühlten Gliedern und an der Wurzel, die sich schmerzhaft in ihren Rücken bohrte. Von Panik erfüllt, stemmte sie sich auf einem Ellenbogen hoch. Es war wieder geschehen! Wie viele Stunden oder Tage waren ihr diesmal entglitten, ohne dass sie merkte, was mit ihr geschah?
»Johnny?«
Jemand stand vor ihr und vor Schreck hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Die Gestalt verharrte zwischen den schwach glühenden Pilzen. In den Händen hielt sie ein Licht, das ihr Gesicht von unten anstrahlte. Ihr Kopf war von einer Kapuze verhüllt.
»Yvonne? Bist du das?« Ravennas Stimme zitterte.
Die stumme Gestalt regte sich. »Es ist gelungen. Sie erwacht.«
Ihre Stimme klang tief und dunkel, die Worte und die Klangfarbe wirkten sehr seltsam. Sie sprach nicht zu Ravenna, die auf dem Boden kauerte, sondern zu unsichtbaren Gefährten im Hintergrund.
Ravenna fuhr herum. Hinter ihr standen weitere Gestalten, ebenso verhüllt und schweigsam wie die erste Frau. Zu sechst hatten die Unbekannten rings um den Hexenring Aufstellung genommen. Jede hielt ein unruhig loderndes Licht in der Hand.
»Sie erwacht. Aber ist sie auch die Richtige?«, fragte jemand.
»Sie trägt Morrigans Zeichen. Sie ist eine von uns«, bemerkte eine helle Stimme. Die Sprecherin beugte sich zu dem Triskel herunter, das unter Ravennas Pullover hervorgerutscht war. Unter der Kapuze entdeckte sie ein Gesicht mit elfenhaften Zügen. Obwohl die Fremde jung wirkte, war ihr Haar silbergrau. Sie hob die Hand mit dem Licht, bis der Schein auf Ravennas Gesicht fiel. Da bemerkte sie, dass mit einer pudrigen Substanz ein Muster ins Laub gezeichnet war: Sie lag auf einem fünfzackigen Stern.
Hastig sprang sie auf. Ihr Herz raste. Die fremde Frau wich vor ihr zurück und vollführte eine abwehrende Geste, als sei sie ebenso erschrocken wie Ravenna.
»Was ist das hier? Eine Theaterprobe? Ein übler Scherz?«, fuhr Ravenna die Unbekannte an. War sie wirklich Opfer einer Beschwörung geworden? »Ich will sofort wissen, wohin mein Pferd gelaufen ist. Im
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