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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Dunkeln zwischen den Felsen bricht sich der Wallach sonst das Bein.«
    »Sie ist verwirrt«, stellte die erste Sprecherin fest.
    »Aber sie ist unserem Ruf gefolgt«, gab eine andere zu bedenken. »Wem außer Melisendes naher Verwandter sollte das gelingen?«
    »Sie sieht seltsam aus«, meinte die junge Frau.
    »Und wenn sie es nicht ist?«, fragte eine weitere, deren Gesicht ganz im Schatten verborgen lag. Dunkle Locken quollen unter der Kapuze hervor.
    Die erste Sprecherin zuckte die Achseln. »Das Wagnis müssen wir eingehen. Wichtig ist nur, dass wir sie so schnell wie möglich von hier fortbringen.«
    Ravenna klopfte sich das Laub von den Kleidern. Ihre Uhr war stehengeblieben, doch sie schätzte, dass es weit nach Mitternacht war. Jetzt kam es darauf an, einen klaren Kopf zu behalten. Wie ärgerlich, dass sie ihr Handy nicht wenigstens eingesteckt hatte, auch wenn es ausgeschaltet war! Ihre Eltern waren bestimmt verrückt vor Sorge. Sie schob zwei Finger in den Mund und stieß jenen gellenden Pfiff aus, dem Johnny immer sofort gehorchte.
    Zischend fuhren die Frauen sie an. »Hast du den Verstand verloren? Sei still – still! Weißt du nicht, wo wir uns befinden? In diesen Wäldern wimmelt es von Beliars Männern.«
    »Wer ist Beliar? Und was kümmern mich seine Männer? Wenn ich mitspielen soll, müsst ihr mich schon in die Regeln einweihen«, knurrte Ravenna.
    »Weißt du nicht, was mit einer Frau geschieht, die nachts im Wald vom Feind überwältigt wird?«, fragte eine der Verhüllten.
    Und ob ich das weiß, dachte Ravenna. Plötzlich wurde ihr schwindlig und furchtbar übel. Fast fürchtete sie, wieder ohnmächtig zu werden. Fluchtartig wollte sie den Kreis verlassen, doch sie spürte ihre Füße kaum und taumelte wie eine Betrunkene.
    »Kind, in einem Hexenring nimmt man niemals den geraden Weg«, ermahnte sie eine untersetzte, ältere Frau. Mit sicherem Griff umfasste sie Ravennas Handgelenk, ihre Finger waren warm und die Berührung wirkte beruhigend. Sie führte Ravenna auf der Bahn des grauen Puders entlang, so dass durch ihre Schritte ein Pentagramm entstand. Nun konnte sie den Ring gefahrlos verlassen.
    »Das geht vorbei«, tröstete die Fremde sie, als Ravenna tief Luft holte und den Handrücken auf den Mund presste. »Die Übelkeit ist eine Nachwirkung der Beschwörung. Der Sturz durch ein Tor ist nicht immer angenehm.«
    »Was?«, murmelte Ravenna. Vor lauter Verwirrung hatte sie die Worte nur zur Hälfte verstanden. Ihr Herz pochte wie wild, denn ihr Pferd war nicht wieder aufgetaucht und ihr wurde klar, dass es vermutlich bis zum Morgengrauen keinen anderen Ausweg gab, als sich diesen Leuten anzuschließen – so seltsam sie auch waren. Allein der Gedanke, nachts mutterseelenallein durch den Wald zu irren, versetzte sie in Panik.
    Eine der Frauen senkte das Licht und murmelte ein kurzes Wort. Ein Blitz zuckte auf, gefolgt von einem Zischen. Der fünfzackige Stern flammte auf und verbrannte mit greller Flamme, heller als ein Schweißlicht auf Stahl. Das Feuer hinterließ den Geruch von Schwefel und einen verkohlten Umriss im Laub.
    Hastig fegten die Frauen mit den Füßen Zweige und lose Blätter über die verbrannte Stelle. Ein Licht nach dem anderen erlosch und der Kreis der Verhüllten versank in der Dunkelheit. Die Furcht war ansteckend und plötzlich war Ravenna froh um die kräftige Hand, die ihre Finger gefasst hielt. Sie klammerte sich an ihrer Begleiterin fest, um nicht den Anschluss an die merkwürdige Gruppe zu verlieren.
    In einer stummen Prozession bewegten sich die Fremden durch den Wald. An manchen buckligen Schatten neben dem Weg erkannte Ravenna, dass sie wieder der Heidenmauer folgten. Heimlich atmete sie auf, als sie die vertrauten Landmarken um sich sah. Sie bewegten sich in Richtung der höchsten Kuppe des Bergs. Dort lag das Kloster, das vor etlichen Jahren in eine Hotelanlage umgewandelt worden war. Von dort konnte sie ihre Eltern anrufen und sie beruhigen. Wahrscheinlich war der Wallach längst nach Hause gelaufen und stand daheim im behaglichen Stall, während die gesamte Hofmannschaft nach ihr suchte. Wenn es nicht allzu spät war, würde ihr Vater sie vielleicht sogar mit dem Auto abholen. Und dann würde sie sich mit ihren Eltern in die Küche setzen und ihnen erzählen, was ihr widerfahren war. Es würde keine Geheimnisse mehr geben, beschloss Ravenna, sie wollte nurmehr Vertrauen und Trost.
    Die leuchtenden Zeiger ihrer Armbanduhr bewegten sich noch immer nicht.

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