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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Jackentasche holte sie ihre Geldbörse hervor und entnahm ihr einige Münzen.
    Ratlos sahen sie die Frauen an. »Wir könnten einen Boten schicken«, schlug die Älteste der sechs endlich vor. Sie war klein und rundlich, ihre Backen glänzten wie frische Äpfel und sie sprach mit einem bretonischen Akzent. Auf dem Kopf trug sie eine Haube aus steifer Spitze, von der ihr ein Schleier bis auf die Schultern fiel. »Wenn du uns sagst, wohin er sich wenden soll, reitet er sofort los. Allerdings bezweifle ich, dass es ihm gelingen wird, die Nachricht zu übermitteln. Schließlich bist du durch ein Tor gekommen, das ein Sterblicher nicht so ohne weiteres durchqueren kann.« Dennoch ließ sie sich von Ravenna die Adresse nennen. »Das Gasthaus zur Rebe in Ottrott? Wenn es dieses Wirtshaus geben sollte, wird es der Reiter kaum verfehlen. Doch wozu braucht ein Weiler mit drei Gehöften eine Schenke?«
    Mit klopfendem Herzen starrte Ravenna die Sprecherin an. Das Ottrott, von dem sie aufgebrochen war, hatte sechzehnhundert Einwohner und besaß mit Sicherheit mehr als ein Wirtshaus. Erst kürzlich hatte eine Schulfreundin ein hübsches Café eröffnet, gleich neben der Bahnlinie.
    »Ein Bote kann nicht schaden«, seufzte die untersetzte Frau, als sie Ravennas bestürzten Blick bemerkte. Sie öffnete die Tür zum dunklen Flur und rief: »Wer hat heute Abend Dienst?«
    Ein eisiger Windzug fuhr durch die Halle. Eine Tür knarrte und eine mürrische, hagere Gestalt erschien. Mit dem langen, dunklen Rock und der weißen Haube war sie wie eine Nonne gekleidet, aber irgendetwas sagte Ravenna, dass sie nicht zu den Betreibern des Hotels gehörte.
    »Geh und sag Chandler, er soll einen Reiter ins Tal hinunterschicken«, trug die Frau der Nonne auf. »Er suche nach den Eltern von …« Fragend blickte sie den Gast an.
    »Ravenna.« Der Name kam ihr als Krächzen über die Lippen. Die prüfende Aufmerksamkeit der Frauen war ihr unangenehm, und sie wollte ihnen keine Umstände machen. Genau genommen wollte sie nur nach Hause und herausfinden, ob es ihrem Tinkerwallach gutging. Aber natürlich gab es im Kloster kein Telefon – es war eine Pilgerstätte, fernab des weltlichen Trubels.
    »Nach den Eltern von Ravenna«, ergänzte die Frau. »Er reite sogleich los, aber er nehme sich vor den Männern in Acht, die dieser Tage durch die Wälder streifen.«
    »Einen guten Reiter in Gefahr bringen wegen der da?«, knurrte die hagere Nonne. Sie musterte Ravenna von oben bis unten. »Sie trägt Hosen und geht wie ein Mann. Woher wollt Ihr wissen, ob sie die Richtige ist?«
    Die Augen der rundlichen Frau blitzten und sie wirkte eine Handbreit größer als noch vor einem Augenblick. »Geh zu Chandler und überbringe ihm meine Nachricht!«, sagte sie streng. »Sofort. Alles andere lass unsere Sorge sein.«
    Die Hagere streckte den Arm durch den Türspalt. Erschrocken zuckte Ravenna zurück, doch da kniff die Nonne sie schon in den Ärmel und rieb den Stoff der Regenjacke zwischen den Fingern. »Seltsames Gewebe für einen Umhang«, giftete sie. »Nicht von dieser Welt.« Dann verbeugte sie sich vor ihrer zornigen Herrin und schloss die Tür.
    »Das hat sich aber schnell herumgesprochen«, meinte ein Mädchen mit lebhaftem Gesichtsausdruck. Sie war höchstens sechzehn Jahre alt, schätzte Ravenna. War sie ebenfalls im Wald gewesen? Ravenna konnte sich nicht erinnern. Die Gesichter unter den Kapuzen hatten im Kerzenschein maskenhaft starr gewirkt. Jedenfalls schien die junge Frau zum Kreis der Eingeweihten zu gehören. Sie rührte in dem Kessel, der über dem Feuer hing. Der hauchdünne Überwurf, den sie um die Schultern trug, glänzte im Gegenlicht.
    »Was erwartest du, Aveline?«, brummte die Jägerin. Mit einem Kienspan zündete sie sich eine Pfeife an und paffte blasse Wölkchen in den Rauchfang. Der Pfeifenkopf war nicht mit Tabak gestopft, sondern mit einer Kräutermischung, deren Duft nach wenigen Zügen den ganzen Raum erfüllte. Ravenna meinte Beifuß und Salbei herauszuschmecken und noch etwas anderes – Gewürznelken vielleicht. Zwischen zwei Rauchwolken sprach die Jägerin weiter.
    »Die Sieben ziehen zu einer nächtlichen Beschwörung auf den Hexenberg und kehren mit einem Gast zurück. Wenn das kein Gesprächsstoff für Hof und Herd ist!«
    Ravenna hörte nur die Worte Beschwörung und Hexenberg. Halb erwartete sie, dass Yvonne endlich hinter dem schweren Vorhang hervorkam und sich ausschüttete vor Lachen über den Streich, den sie ihrer

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