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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Schwester gespielt hatte. Doch eine innere Stimme sagte ihr, dass das nicht geschehen würde. Sie ging zu einem der Bogenfenster und blickte in den Hof hinaus. Die Blätter der Linden rauschten im blauen Nachtlicht. Es waren dieselben jungen Bäume wie vor einer halben Stunde. Sie schloss die Augen und ließ die Stirn gegen die steinerne Einfassung des Fensters sinken. Das darf alles nicht wahr sein, dachte sie. Warum passiert das ausgerechnet mir?
    »Komm, Kind. Setz dich zu uns und trink einen Schluck. Du musst müde und hungrig sein.« Die ältere Frau fasste Ravenna am Arm und führte sie zur Tafel.
    Bestürzt stellte Ravenna fest, dass sie auf dem blauen Thron Platz nehmen sollte. »Ich … das ist meine Reitkleidung. Sie ist nicht sehr sauber«, murmelte sie.
    »Nimm Platz!« Die Frau hatte ihren Arm nicht losgelassen. Die Aufforderung klang nicht länger einladend, sondern fordernd und bestimmt.
    Gehorsam rutschte Ravenna auf das blaue Polster. Die Armlehnen waren kunstvoll geschnitzt. Behutsam legte Ravenna die Hände auf die Griffe. Die Lehne mit den Sternen ragte hinter ihr auf.
    Ihre Gastgeberinnen schienen zufrieden. Sie versammelten sich an der runden Tafel und nickten Ravenna lächelnd zu. Die Frau mit der Spitzenhaube sagte: »Ich heiße Viviale und bin die Magierin, die das Geheimnis des Siegels von Mabon hütet. Dies sind meine Schwestern. Du wirst ihre Namen erfahren, doch zunächst möchten wir dich um Verzeihung bitten, dass wir dich auf diese Weise in unseren Kreis riefen. Ich kann dir versichern, dass wir nicht alle Tage eine Beschwörung abhalten.«
    »Eigentlich nie«, grinste die Jägerin. Sie trug das Haar zu einem langen Zopf geflochten, der ihr bis zum Gürtel reichte. Schon durch ihre ungewöhnliche Größe wirkte sie sehr schlank, ihre Bewegungen waren elegant und gelenkig. Mit der Stiefelspitze stieß sie ein glühendes Stück Kohle in den Kamin, das von einem Scheit abgeplatzt war.
    »Beschwörungen sind Teufelskram«, erklärte sie. »Vieles daran ist fauler Zauber oder noch schlimmer: schwarze Magie. Damit geben wir uns eigentlich nicht ab. Aber in dieser ausweglosen Lage … ich bin Josce und Chandler ist mein Geweihter Gefährte.« Sie packte Ravennas Hand mit beherztem Griff und drückte sie. Dann zog sie vergnügt eine Braue in die Höhe. »Sie hat Kraft«, stellte sie fest. »Das ist beinahe ein Schwertarm.«
    »Bin ich hier auf einer Fohlenschau?«, rutschte es Ravenna heraus, ehe sie sich bremsen konnte. Die Frauen sahen sie verblüfft an. Dann brachen sie in schallendes Gelächter aus.
    »Sie ist nicht auf den Mund gefallen«, meinte die Jüngste in der Runde, während sie ein Tablett herumtrug und jeder der Anwesenden einen dampfenden Becher vorsetzte. Die Pokale waren mit Perlen und Halbedelsteinen besetzt, der Inhalt duftete nach heißem, gewürztem Wein. Die Frauen hoben die Gefäße und nickten einander über die Tafel hinweg zu. Dann richteten sich alle Augen auf Ravenna.
    »Zum Wohl«, sagte sie, weil das offenbar von ihr erwartet wurde, und nahm den ersten Schluck. Der Wein war stark und süß und außer Früchten und Gewürzen schmeckte sie ein unbekanntes Aroma heraus. Sie spürte, wie das Getränk sie wärmte. Sie stieß einen langen Atemzug aus und lehnte sich zurück. Aus dem Augenwinkel sah sie den Fensterbogen, der einen Ausschnitt des Innenhofs zeigte. Das Laub der Linden flimmerte wie Silber. Beklommen wandte sie den Blick ab.
    »Gewiss weiß sie, wie man sich wehrt«, griff eine Frau den Gesprächsfaden wieder auf. Sie saß im Erker auf einer Bank und hatte bislang geschwiegen. Auf ihrer Stirn schimmerte ein goldener Stern. »Schließlich ist sie Melisendes nächste Verwandte.«
    »Wer ist Melisende?«, fragte Ravenna. Der Wein, auf nüchternen Magen genossen, stieg ihr zu Kopf. Es fiel ihr schwer, der angestaubten Redeweise der Frauen zu folgen und sich die langen Namen zu merken – altfranzösische Namen, wenn sie sich nicht täuschte.
    Stille senkte sich über die Runde. Nur das Knacken der Holzscheite war zu hören.
    »Du weißt nicht, wer Melisende ist?«, brach die silberhaarige Elfe schließlich das Schweigen. Im Licht des Feuers leuchteten ihre Augen moosgrün. Noch nie hatte Ravenna eine so satte Farbe gesehen. Der Blick der Elfe wirkte fremdartig und irgendwie unheimlich. Nicht menschlich, dachte sie. Dann erschrak sie über ihren Gedanken. »Wirklich nicht? Du bist ihr nie begegnet?«
    Ravenna schüttelte den Kopf. Sie spürte, wie ihr Gesicht

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