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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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erkennen zu können …«, stotterte Ravenna, aber beide Hexen winkten ab.
    »Das ist Unfug. Und Aberglaube«, meinte Mavelle. »Die Mutter träumt vor der Geburt von ihrem Kind, das ist das sicherste Anzeichen. Den Namen meines Sohnes werde ich dir natürlich nicht verraten. Man gibt ihn erst bekannt, nachdem ein Bannkreis um die Wiege gezogen wurde.«
    Die Wächter am Tor in der Heidenmauer ließen sie ungehindert passieren. Danach verstummten die fröhlichen Gespräche und die Reiter rückten dichter zusammen. Besorgte Blicke glitten über das Unterholz. Die Nervosität steckte auch Ravenna an. Ihre Hände, mit denen sie die Zügel hielt, wurden feucht.
    »Was ist denn los?«, keuchte sie, durchgeschüttelt von Willows flottem Trab. »Warum verhaltet Ihr Euch so komisch? Stimmt etwas nicht?«
    »Still!«, zischte Josce ihr zu, »und bleib in unserer Nähe. Dieser Teil des Waldes ist nicht sicher. Es könnte sein, dass wir auf Beliars Männer stoßen.«
    Ravenna duckte sich und trieb die Stute an. Angst kroch ihr in die Glieder. Plötzlich war die Bedrohung durch einen feindlichen Burgherrn nicht mehr nur ein Gesprächsthema am Kamin, sondern bedrückende Realität. So unheimlich wie an diesem Morgen war ihr der Odilienberg noch nie erschienen. Es gab keinen Weg, nicht einmal einen sichtbaren Pfad, und die Straße, die sich in ferner Zukunft auf den Gipfel schlängelte, war verschwunden. Nebelschwaden trieben zwischen den Baumstämmen und dämpften die Geräusche. Wie Perlen auf einer Schnur reihten sich die Regentropfen an Spinnweben und dünnen Zweigen auf.
    Sie erschrak, als sie vor dem Hintergrund der Bäume Schatten sah, die sich bewegten. Als Ravenna durch den Dunst spähte und erkannte, welche Tiere dort grasten, stockte ihr der Atem. Einhörner. Das Rudel bestand aus fünf Stuten und einem Hengst. Sie waren deutlich kleiner und stämmiger als die Hexenpferde. Mit dem zottigen Fell und den breiten Mäulern erinnerten sie Ravenna an Lamas oder Hochlandrinder. Die Schwänze endeten in Quasten, die Hufe waren zu zwei Zehen gespalten und von einem dichten Behang überwachsen. Mitten auf der Stirn saß das lange, dünne Horn.
    »Du kannst sie sehen?«
    Ravenna schrak herum, als die Stimme der Jägerin dicht neben ihr erklang. Josces forschender Gesichtsausdruck ließ sie einen Augenblick lang zögern, doch dann nickte sie.
    Der Seufzer der Jägerin drang als Atemwölkchen unter der Kapuze hervor. »Dann hast du die Gabe. Nur eine echte Hexe kann durch das Tarngespinst blicken, das Mavelle gewebt hat.«
    »Tarngespinst?«, wiederholte Ravenna verständnislos.
    Mit der Spitze des Bogens deutete die Jägerin auf die Spinnweben. »Jede Herde ist mit einem solchen Faden umgeben«, erklärte sie. »Er begleitet die Tiere, wohin sie auch gehen, aber die meisten Einhörner bleiben auf unserem Berg. Sie wissen, dass sie hier sicher sind. Niemand würde es wagen, ihnen auch nur ein Haar aus dem Schweif zu reißen.«
    Wachsam starrten die Tiere zu den vorbeireitenden Hexen herüber. Die Hunde warfen flehende Blicke auf Josce und zitterten vor Aufregung, aber solange die Jägerin ihnen keinen anderen Befehl zurief, verhielten sie sich vollkommen still.
    »Es werden jedes Jahr mehr«, fuhr Josce fort. »Wenn es einer Herde in ihrem Weidegrund zu unruhig wird, dann kommt sie auf den Odilienberg. Hier werden die Tiere in Ruhe gelassen.«
    »Wer sollte ihnen denn etwas tun?«, fragte Ravenna.
    »Einhörner werden gejagt.« Josce zog ein finsteres Gesicht. »Haare, Hufe und vor allem das Horn sind begehrte Trophäen. In manchen Gegenden wird es sogar mit Gold aufgewogen, denn viele Leute glauben, man könne damit irgendwelche Wunder vollbringen oder die eigene magische Gabe steigern. Das ist natürlich Unsinn.«
    Ravenna nickte. Sie dachte daran, Josce zu erzählen, dass Einhörner in der Zeit, aus der sie kam, vollkommen verschwunden waren. Genau wie die Hexen. Doch dann überlegte sie es sich anders. Warum sollte sie Josce mit dem Wissen belasten, wie sehr sich die Welt in Zukunft veränderte?
    Plötzlich schrak die Einhornherde auf. Zwei oder drei Herzschläge lang standen die Tiere wie erstarrt auf der Lichtung. Dann stoben sie in alle Richtungen auseinander.
    »Achtung!«, schrie Josce im gleichen Augenblick. »Ein Überfall!«
    Zuerst begriff Ravenna nicht, was die Jägerin meinte. Dann begann der Waldrand zu flimmern und zwischen den Baumstämmen quoll ein wolkiger Schatten hervor. Eine Schockwelle raste auf die Hexen zu,

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