Die Hexen - Roman
Gewand an seinem Körper schlackerte. Mit dem zerzausten, blonden Haar sah er eher wie der Hofnarr aus, nicht wie der Herrscher. Weder eine Krone noch eine goldene Kette deuteten darauf hin, dass er König über Ländereien war, die sich von Straßburg bis zum höchsten Berg des Elsass erstreckten. Außerdem war Constantin Anführer der Schwerter des Lichts, hatte man Ravenna beim Betreten der Halle ins Ohr geraunt. So nannte sich der Ritterorden, dem Terrell, Chandler und die anderen Gefährten der Sieben angehörten.
»Seit wir die Belagerung der Festung abbrechen mussten, wird der Marquis immer dreister«, stimmte er Josce zu. »Mittlerweile spricht Beliar regelmäßig vor dem Stadtrat und versucht, die Patrizier davon zu überzeugen, dass Ihr schwarze Hexen seid. Beim Hochwasser im Frühling sind auf einer Weide am Fluss etliche Stück Vieh ertrunken – angeblich habt Ihr sie verzaubert, damit sie vor den Fluten nicht davonlaufen. Als in die große Ulme am Löwentor der Blitz einschlug, habt Ihr ihn natürlich vom Berg herabgeschleudert. Und an der beschämenden Krankheit, die sich im Gerberviertel ausbreitet, tragt Ihr ebenfalls die Schuld.«
»Dabei weiß jedes Kind, dass diese Krankheit von der Schamlosigkeit mancher Ratsherren kommt«, bemerkte Aveline spitz.
Constantin strich sich über das Kinn. »Gerade deshalb werden sie um so eher bereit sein, Beliars Behauptungen zu glauben und Gerüchte unter das Volk zu streuen. Nichts lenkt besser von den eigenen Verfehlungen ab als ein Sündenbock, dem man alle Schuld zuschieben kann.«
»Arme Melisende«, stieß Viviale hervor. Im Feuerschein wirkte ihr Gesichtsausdruck ganz niedergeschlagen. Die Spitzenhaube und der Schleier waren vom Regen feucht.
»Du und deine Ritter – ihr wart erst vor kurzem in der Stadt«, wandte Mavelle sich an den König. »Gibt es denn wirklich gar nichts, was wir für unsere Freundin tun können?«
Constantin schüttelte den Kopf. »Wir haben den Stadtrat erneut aufgefordert, uns stichhaltige Beweise zu liefern, dass Melisende Schadenszauber gewirkt hat«, berichtete er. »Andernfalls sei sie unverzüglich freizulassen. Als Antwort übergab man mir das hier.« Auf der offenen Handfläche zeigte der König einen Stein herum. Er war ungefähr so groß wie das Ei einer Taube und von grauem Perlglanz überzogen.
»Was ist das?«, wollte Ravenna wissen.
»Ein Bezoar«, erwiderte Aveline. Mit angewidertem Gesicht tippte sie das Ei an. »Es ist ein Gewöllestein aus Fell und Knochen, der sich im Magen von Eulen oder Katzen findet. Man benutzt ihn gerne für jede Art von Wetterzauber.«
»Er lag unter der Ulme«, sagte Constantin. »Ein Gänsejunge hat ihn gefunden. Er dachte, der Stein sei wertvoll und wollte ihn dem Münzmeister verkaufen. Aber dieser schöpfte Verdacht und zeigte den Jungen an. Daraufhin wurde Remi festgenommen.«
Die Worte des Königs lösten Unruhe unter den Hexen aus. Josce unterbrach ihr Auf- und Abschreiten. Mit verschränkten Armen starrte sie auf den Gewöllestein. »Der Stein ist wertvoll, sehr sogar. Allerdings nur für einen Zauberkundigen, der damit umzugehen versteht. Ein Gänsejunge kann nun wirklich nichts damit anfangen.«
»So wie es aussieht, will jemand den Verdacht unbedingt auf uns lenken«, warf die Elfe ein und Nevere nickte. »Menschen, die keine magische Gabe besitzen, fürchten uns, und wenn wir ihnen einen Grund geben, dann hassen sie uns bald«, pflichtete sie bei.
Constantin legte den Stein auf den Tisch. »Dieser Fund gilt nun in der Stadt als Beweis für die Anwendung von Schwarzer Magie. Durch diesen Fund gerät Melisende noch viel stärker unter Druck, vor allem, da Beliar sofort bekräftigte, dass sie einen ähnlichen Zauber um seine Burg wirken wollte. Aber es ist nicht länger sie alleine, um die wir bangen müssen«, sagte er. »Ihr alle schwebt in Gefahr.«
Ravenna spürte die Hitze des Kaminfeuers im Rücken. Der Geruch von Holzrauch, feuchter Wolle und nassem Hundefell hing im Raum. Schweigend saßen die Gefährten der Magierinnen am Tisch. Einige der Männer sah Ravenna zum ersten Mal. Esmees Sitznachbarn fand sie auf Anhieb liebenswürdig, er wirkte ruhig und ausgeglichen und las seiner Gefährtin jeden Wunsch von den Augen ab. Nevere, die Frau mit dem Stern auf der Stirn, wurde hingegen von einem Mann hofiert, der einen verwegenen und verschlagenen Eindruck machte. Ravenna mochte ihn nicht.
Vor der großen Doppeltür drängten sich die jungen Ritter, die noch keinen
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