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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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stellte sich so dicht vor sie hin, dass Ravenna der aufdringliche Duft der Kerze in die Nase stieg. Spöttisch ahmte Lynette die Stimmen der Sieben nach. »Von nun an bist du ganz allein! Wir schneiden dies und wir schneiden das und wir verstoßen dich, denn die Göttin hat dich nicht mehr lieb. Vielleicht lässt Morrigan dich irgendwann wieder auf ihrem Schoß spielen, wenn du ein artiges Mädchen bist, aber jetzt musst du alleine in die böse Welt hinausziehen. Soll ich dir einmal etwas sagen, Ravenna? Ich bin nicht allein!«
    Die letzten Worte brüllte Lynette mit solcher Löwenkraft, dass Ravenna zusammenfuhr. Es ist nur ein magischer Trick, redete sie sich ein, wie die Drachenlunge, durch die Lynette es so lange unter Wasser ausgehalten hatte. Auch die Sieben erscheinen größer und furchteinflößender, wenn sie Magie wirken.
    »Es reicht jetzt«, sagte sie und versuchte ihrer Stimme einen entschiedenen Klang zu geben. »Verlass sofort mein Zimmer und den Konvent! Du hast die Sieben doch gehört – du bist nicht länger ihre Schülerin.«
    Lynette rümpfte die Nase. »Warst du im Stall? Du riechst danach … Vielleicht möchtest du heim und hast gehofft, dass das Tor auch heute Nacht offen steht? Aber es geschieht nur einmal, dass wir wählen dürfen – solange wir jung und ahnungslos sind und nicht begreifen, dass wir uns vollkommen in die Hand der Sieben geben. Die Hexen vom Odilienberg sind mächtige Strippenzieherinnen und Intrigantinnen. Hast du schon beobachtet, wie sklavisch ihnen Constantins Männer ergeben sind? So geht es jedem, der sich auf sie einlässt – er wird zu einem Spielball in ihren Plänen.«
    Heimlich betastete Ravenna mit der Zungenspitze die Innenseite ihrer Lippe. Sie hatte sich gebissen, als Josce zuschlug. Voller Unbehagen erinnerte sie sich an den Streit in König Constantins Halle.
    Lynette umschmeichelte sie unterdessen wie eine Katze. »Möch test du nicht endlich deine Familie wiedersehen? Weißt du, ich könnte dir helfen. Ich könnte dich zu dem Zeittor führen und dir das Zauberwort verraten, mit dem man es öffnet. Mehr ist es nicht – ein einziges Wort und du bist wieder zu Hause. Du musst mich nur begleiten.«
    Einige schmerzhafte Herzschläge lang war Ravenna versucht, der Verlockung nachzugeben. Heim – zu den Eltern und zu ihrer Schwester! Heim ins eigene Bett, in eine Zeit ohne Schwertkämpfe und gruselige Rituale. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich habe den Sieben mein Wort gegeben. Ein Versprechen gilt auch in siebenhundert Jahren noch etwas, Lynette.«
    Die blonde Hexe kicherte, als hätte sie die Antwort erwartet. »Ach, wie edelmütig! Glaubst du wirklich, es kümmert die Sieben, was du ihnen geschworen hast? Du weißt doch rein gar nichts über sie! Aber ich werde dir die Augen öffnen. Kennst du das Geheimnis der dreizehnten Fee?«
    »W… was?« Allmählich vermochte Ravenna den Gedankensprüngen ihres aufdringlichen Gastes nicht mehr zu folgen.
    Mit einem Seufzen schlenderte Lynette an ihr vorbei und legte die Hand auf den Bettpfosten, ehe sie sich umdrehte. »Sie war genau wie die anderen Zwölf«, erklärte sie. »Sie war klug, beredt und sittsam, besaß ausreichend Bildung und verstand es, den Faden auf der Spule stets gleichmäßig zu drehen. Aber man lud sie bei der letzten Schwertleite nicht zum Festmahl ein. Aus Nachlässigkeit? Aus Vergesslichkeit? Oder weil der König wirklich keinen Teller mehr im Schrank hatte? Nein, es geschah aus einem sehr viel einfacheren Grund …« An dieser Stelle blickte Lynette sie an. »Die anderen wollten ihren Einfluss nicht mit ihr teilen.«
    Die Kerze brannte ruhig auf dem Nachtschränkchen. Das samtige Licht fiel auf das Kopfkissen, die Wolldecke und die weiß verputzte Wand. Ravenna schwieg.
    »Ihr Name war Elinor«, fuhr Lynette fort. »Ja, da staunst du, nicht wahr? Von ihrer ungeliebten Stiefschwester haben dir die Sieben wohl noch nichts erzählt. Als ich auf den Odilienberg kam, stand sie kurz vor der Einweihung zur Magierin und ich hoffte sehr, mein letztes Jahr unter ihrer Obhut zu verbringen. Was hätte sie mich alles lehren können! Sie besaß außergewöhnliche Fähigkeiten und hätte den Konvent weit über die Grenzen seiner bisherigen Bedeutung hinausgeführt. Aber die anderen Frauen haben sie verstoßen. Bei Nacht und Nebel musste Elinor den Konvent verlassen, genau wie ich heute Nacht.«
    Gedankenverloren kratzte Lynette mit dem Fingernagel am Bettpfosten. »Kannst du dir vorstellen, dass so

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