Die Hexen - Roman
Halskette. Leg sie ab!«
Mit gespielter Entrüstung presste Lynette die Hand auf das Schmuckstück. »Diese Halskette? Sie ist ein Erbstück meiner Familie! Ich trenne mich niemals von ihr, nicht einmal wenn ich ins Bett gehe.«
»Nun, ins Bett sollst du auch nicht gehen, sondern ins Bad«, erwiderte Viviale. »Zieh die Kette aus! Du weißt genau, dass Edelsteine und Metall die Magie verfälschen, und wir wollen uns vollkommen sicher sein.«
Die Hand auf die Brust gepresst, blieb Lynette stehen. Trotzig blickte sie die Sieben an. »Ich bin die Schwägerin eines Königs! Er hat mir diesen Schmuck geschenkt, und er erwartet von mir, dass ich ihn trage. Mehr noch: Er erwartet von mir, dass ich eine große Zauberin und Hexe sein werde, wenn ich an seinen Hof zurückkehre. Meine Antwort lautet also: Nein, ich lege die Halskette nicht ab.«
»Eine große Zauberin und Hexe?«, fragte Josce ironisch. »In welchem Jahr der Ausbildung bist du jetzt?«
»Im siebten.« Stolz hob Lynette das Kinn. »In einem halben Jahr habe ich alles gelernt und werde zur Magierin geweiht.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, warf die zierliche Elfe ein. »Vorher musst du nämlich in diesen Brunnen steigen. Und solange das nicht geschehen ist, werde ich dir als deine letzte Ausbilderin niemals bescheinigen, dass dein Abschlussjahr im Konvent erfolgreich verlaufen ist.«
Fordernd streckte Mavelle die Hand nach der Halskette aus. Sie war einen Kopf kleiner als das blonde Mädchen und wirkte schwerfällig mit ihrem schwangeren Bauch. Aber in diesem Augenblick strahlte sie eine Entschlossenheit aus, der sich Lynette schließlich widerwillig beugte. Sie neigte sich nach vorn und hob die Kette mit beiden Händen vom Nacken. Mit einer herrischen Kopfbewegung warf sie die Locken zurück.
»Sieh an, ein Amulett der Schatten«, murmelte Mavelle und hob den Goldschmuck mit spitzen Fingern in die Höhe. Die Halskette endete in einem verschlungenen Knoten, der Ravenna an alte, keltische Muster erinnerte.
»Solche Amulette kosten ein Vermögen«, bemerkte Mavelle. »Dein Schwager muss wirklich außerordentlich von deiner Gabe überzeugt sein, wenn er dir so ein kostbares Geschenk macht. Oder du hast etwas zu verbergen.« Scharf blickte die junge Magierin Lynette an. »Das Amulett der Schatten dient dazu, die Wahrheit zu verschleiern.«
Das Mädchen zuckte die Achseln. »Davon weiß ich nichts. Der Schmuck wurde mir bei der Hochzeit meiner Schwester überreicht. Seither trage ich ihn und es hat mir nie geschadet.«
Josce runzelte die Stirn. »Im siebten Jahr der Ausbildung zur Magierin und du hast noch nie von der magischen Knotenschrift der Druiden gehört? Du musst wirklich miserable Lehrerinnen haben, Lynette. Und jetzt sei so gut und steig endlich ins Wasser. Wir wollen hier fertig sein, bevor die Sonne wieder aufgeht.«
Zögernd tauchte Lynette den großen Zeh ein. Sie fröstelte und warf ihren Freundinnen einen theatralischen Blick zu. Aber die Gesichter der Mädchen wirkten wie versteinert. Endlich wandte sich die blonde Jungmagierin um und stieg mit schnellen Schritten in das Becken. Die Hexen brauchten sie nicht unterzutauchen. Sie breitete die Arme aus und ging von selbst unter, bis sie klein und verzerrt wirkte. Aus dem Wasser heraus blickte sie Ravenna an.
Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht, dachte diese wieder. Die hässliche Begegnung im Versammlungssaal fiel ihr wieder ein, ebenso erinnerte sie sich an die flüchtige Beschwörung, die Lynette am Morgen gemurmelt hatte, bevor sie unterbrochen wurde. Ravenna musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, um neben den anderen Magierinnen am Beckenrand stehen zu bleiben.
Regungslos blickten die Sieben ins Wasser. Die Mädchen, die im dunklen Hof warteten, fingen an zu tuscheln, als sich Lynettes Tauchgang immer mehr in die Länge zog.
»Sie hat Drachenlungen«, stellte Mavelle trocken fest.
»Und eine Drachenzunge bei so viel Bosheit, wie sie versprüht«, brummte Josce. »Keine Angst, Ravenna, dass sie so lange tauchen kann, ist nur ein magischer Trick. Warten wir ab, was geschieht, wenn sie wieder herauskommt.«
Lynette hielt es so lange unter Wasser aus, bis Ravenna allein vom Zuschauen zu ersticken glaubte. Plötzlich zog das Mädchen die Arme an und schoss an die Oberfläche. Gierig schnappte sie nach Luft. Dann stieg sie sofort zum Beckenrand hinauf und hob siegreich die Arme.
Die Wirkung fiel allerdings anders aus als erwartet. Die Mädchen in der vordersten Reihe wichen
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