Die Hexen von Eastwick
von Gift,
kein Zeichen einer Krankheit. Es war ein Rätsel.
Der Winter ging dahin. In der Dunkelkammer nächtlicher
Schneestürme wurden die Fotos für Neu-England-Postkarten
entwickelt; im Licht des Morgens entfalteten sich ihre Farben. Die
nicht ganz geraden Gehsteige der Dock Street, hier und da vom
Schnee geräumt, waren gestempelt mit den Abdrücken von
Stiefelsohlen – schmutzige weiße Kuchen mit Profilmustern. Eine
gezackte Wildnis grünlichgrauer Eisfladen trieb buchtein, buchtaus
mit Ebbe und Flut und drückte gegen die algenbärtigen,
muschelbewachsenen Pfähle, auf denen die Superette stand. Der neue
junge Chefredakteur des Anzeiger, Toby Bergman, rutschte auf einer
eisglatten Stelle vor dem Friseurladen aus und brach sich ein Bein.
Wegen eines Eisstaus stieg zwischen den Schindeln vorn an der
Geschenkartikelboutique Bellender Fuchs, als die Inhaberin gerade
Urlaub machte auf Sea Island, Georgia, literweise Wasser in den
Haarrissen des Mauerwerks nach oben und lief innen an der
Vorderwand wieder herab; viele teure Lumpenpuppen waren hin und
die von Behinderten gebastelten Laubsägearbeiten.
Im Winter rückte die Stadt, touristenleer, enger zusammen, wie die
Scheite in einem Kaminfeuer, das bis spät in den Abend brennt. Ein
geschrumpftes Häufchen von Teenagern hing vor der Superette
herum und wartete auf den mit psychedelischen Mustern bemalten
VW-Kombi des Dealers aus Süd-Providence. An den kältesten Tagen
warteten sie drinnen in der Wärme, drängten sich, bis der cholerische
Geschäftsführer (der gleichzeitig Steuerberater war und mit vier
Stunden Schlaf auskam) sie wegscheuchte, seitlich vom elektrischen
Auge, beim Kaugummiautomaten und dem anderen, der für ein
Fünf-Cent-Stück eine Handvol muffiger Pistaziennüsse in knal rosa
gefärbten Schalen ausspie. Auf ihre Art waren sie Märtyrer, diese
Kinder, ebenso wie der Trunkenbold der Stadt, mit dem knopflosen
Mantel und den Basketbal schuhen, der aus einer Flasche in einer
Papiertüte Brombeerschnaps süffelte und auf seiner Bank auf dem
Kazmierczak Square saß und jede Nacht den Tod durch Erfrieren
riskierte; Märtyrer auf ihre Art waren auch die Männer und Frauen,
die zu ehebrecherischen Rendezvous hasteten und Schande und
Scheidung riskierten im Tausch gegen klamme Motel-Liebe – sie alle
opferten die äußere Welt für die innere und taten durch diese Wahl
kund, daß al es, was so festgefügt und handfest scheint, nicht mehr ist
als ein Luftgespinst und weniger zählt als die Gnade eines
Gefühlssturms.
Die Leute, die zu Nemo gingen – der Polizist auf Streife, der
Briefträger, der eine kleine Pause einlegte, die drei oder vier
stämmigen Männer, die Arbeitslosenunterstützung bezogen und
darauf warteten, daß im Frühling das Bau- und das Fischereigewerbe
wieder auflebten – wurden einander und den Kel nerinnen im Lauf
des Winters so gut bekannt, daß sie nicht einmal mehr die üblichen
Kriegs- und Wetterfloskeln tauschten und Rebecca ihnen etwas
brachte, ohne zu fragen sie wußte, was sie haben wol ten. Sukie
Rougemont, die keinen Klatsch mehr brauchte, keine Kolumne
‹Gehört und gesehen› im Anzeiger mehr schrieb, führte ihre Klienten,
ihre prospektiven Kunden lieber in das feinere kleine Bäckereicafé, das
eine weiblichere Atmosphäre hatte und ein paar Türen weiterlag,
zwischen dem Bilderrahmenladen der beiden Schwulen, die aus
Stonington hierhergezogen waren, und dem Eisenwarengeschäft der
Armenier, einer Familie von Armeniern, einer riesigen Familie von
Armeniern: jedesmal wurde man von einem anderen Armenier
bedient, jedesmal hatte er eine andere Körpergröße, aber immer hatte
er intelligente, schimmernde Augen und strubbeliges Haar, das ihm
glänzend und tief in die Stirn wuchs. Alma Sifton, die Eigentümerin
des kleinen Bäckereicafés, hatte in einem ehemaligen
Muschelschuppen angefangen mit nichts weiter als einer
Kaffeemaschine und zwei Tischen, wo man nach dem Einkaufen,
wenn man keine Lust auf das Spießrutenlaufen bei Nemo hatte, ein
Stück Kuchen essen und sich die müden Füße ausruhen konnte.
Dann kamen mehr Tische dazu und bald gab es auch Sandwiches,
meist mit Salaten (Ei, Schinken, Huhn), die ohne großen Aufwand
zuzubereiten waren. Im zweiten Sommer mußte Alma schon anbauen,
einen Raum, der doppelt so groß wie der ursprüngliche war, und
einen Elektrogril und einen Mikrowel enofen aufstel en. Nemos
deftige Küche war nicht mehr
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