Die Hexenadvokatin
mancherlei Hinsicht seiner Zeit weit voraus war. So hatte er etwa dem berühmten William von Occam - einem englischen Theologen und Philosophen, der der Ketzerei bezichtigt wurde - in München Asyl gewährt.
Selbst Alberta konnte etwas zur Geschichte Ludwigs beisteuern: »An der Universität in Bologna hat man uns gelehrt, dass dieser Herrscher die bisher nur mündlich überlieferten Rechte und Gesetze zusammengefasst und bestimmt hat, dass nur ausgebildete Richter und keine Laienschöffen mehr die Urteile fällen dürfen. Er hat im Jahr 1346 mit dem Bayerischen Landrecht den Wendepunkt in der deutschen Rechtsgeschichte herbeigeführt - für mich als Jurist eine Angelegenheit von großer Bedeutung.«
Alles Mögliche hatte die bayerische Delegation bereits ins Feld geführt und auch nicht mit mehr oder minder versteckten Hinweisen gespart, der verärgerte Maximilian könne womöglich nachlassen in seinem Bemühen, sich wie bisher für die Gegenreformation einzusetzen.
»Ohne den katholischen Herzog stünden die Protestanten im Deutschen Reich um vieles besser da«, gab die Gräfin hochrangigen Mitgliedern der Kurie und selbst dem Heiligen Vater zu verstehen. Alle Prälaten beeilten sich daraufhin, den bayerischen Herzog der päpstlichen Liebe und des aufrichtigsten apostolischen Dankes zu versichern - in der eigentlichen Sache aber blieben sie hart.
»Ich weiß wirklich nicht, welche Geschütze ich noch auffahren soll, damit sich etwas bewegt.« Alberta war entmutigt und ihren Gefährten fiel auch nichts mehr ein. Sie bedurften dringend einer göttlichen Eingebung, wie man den Heiligen Vater oder die Mitglieder der Kurie zum Einlenken bewegen könnte. Die Lust auf einen Nachtisch war ihnen in jedem Fall gründlich vergangen.
Zur gleichen Zeit in München
Mit der Bekämpfung der Intrigen des jungen Geheimrats Fickler war es leider nicht getan. So sehr sich der alte Graf im Geheimen auf die Schulter klopfen konnte, das Schlimmste von dieser Seite her abgewendet zu haben: Seiner Tochter war in der Zwischenzeit ein noch viel gefährlicherer Feind erwachsen!
Dieser war blutjung, ausnehmend hübsch und weiblich und hieß Constanze von Heilbrunn-Seligenthal. Die kleine Gräfin, beinahe siebzehn Jahre alt, war erfüllt von Hass und spie Gift
und Galle: Nachdem bereits »Rupert« sie abgewiesen hatte, verschmähte sie nun auch der zweite Sohn des Grafen zu Mangfall-Pechstein als Gemahlin. Nach einiger Zeit der Wut verfiel sie allmählich in einen religiösen Wahn.
Friedrich August, der jüngere Sohn der Familie, genannt »Fritz«, hatte bereits mit vierzehn Jahren ganz eigene Vorstellungen davon, aus welcher erlauchten Sippe seine künftige Ehefrau zu stammen habe. Dem frühreifen Jüngling schwebte wenigstens eine Braut aus regierendem Hause vor …
Constanze verlangte von ihren Eltern, Graf Georg von Heilbrunn und Angelica von Seligenthal, in ein Kloster in München gebracht zu werden. Als die Eltern dies verweigerten, erkrankte sie schwer. Zustände tiefster Depression wechselten sich ab mit Anfällen unglaublicher Aggression.
Letztere bekamen ausnahmslos die gräflichen Domestiken zu spüren. Zudem verweigerte sie die Nahrungsaufnahme. Endlich resignierten die ratlosen Eltern und gaben die Tochter in die Obhut der Franziskanernonnen im Kloster Maria unter dem Kreuz, unweit der Liebfrauenkirche in München.
Das Mädchen fiel dort durch bewundernswerte Sanftmut, exzessive Frömmigkeit und übertriebene Bußfertigkeit auf - ein Verhalten, das bisher noch niemand an Constanze beobachtet hatte.
Tagelang lag sie in der Klosterkapelle auf den Knien und sang und betete laut. Hin und wieder geriet sie auch in Verzückung und kam erst nach einer ganzen Weile wieder zu sich. Führte man sie in ihre Novizinnenzelle zurück, verfiel sie in Schrei- und Heulkrämpfe, verweigerte Essen und Trinken, riss sich die Kleider vom Leib, zerkratzte sich das Gesicht und deklamierte auf Griechisch und Hebräisch Stellen aus der Bibel
sowie lateinische Messtexte - kurzum, sie wies alle Anzeichen einer Besessenheit auf.
Ließ man sie dann in die Klosterkirche zurückkehren, beruhigte sie sich sofort. Constanze magerte zusehends ab und die Oberin des Klosters, Mater Maria Luisa di Sant’Angelo, eine Dame aus verarmtem, römischem Adel, befürchtete bereits ein schlimmes Ende des ihr anvertrauten Fräuleins.
Als Constanze begann, in Ohnmacht zu fallen und an Krämpfen zu leiden, verständigte die Mutter Oberin die
Weitere Kostenlose Bücher