Die Hexenadvokatin
ausräumen wird: Herrn von Ellwanger wurde vor drei Tagen die überaus ehrenvolle Aufgabe übertragen, unserem geliebten und hochverehrten Landesherrn, Seiner Durchlaucht Herzog Maximilian, in Zukunft als Leibarzt zu dienen.«
Der vorlaute Kommissar wurde blass und sank in sich zusammen; ja, sämtliche Richter, die sich gerade noch über die allzu milde und zögerliche Prozessführung »des Obersten Kommissars« beschwert hatten, blickten betreten zu Boden. Von ihnen würde Alberta in der nächsten Zeit mit Sicherheit keine Querschüsse mehr zu fürchten haben …
Wie sich zeigte, war der frisch bestallte Leibarzt Maximilians ein Anhänger seines berühmten Arztkollegen Johannes Weyer. Dieser, in Brabant geboren, hatte im Jahr 1563 sein bekanntestes Werk De Praestigiis Daemonum - Von den Blendwerken des Teufels - veröffentlicht. Es handelte sich um ein
vielfach nachgedrucktes und weit verbreitetes Standardwerk, das eine Menge theologischer, juristischer und medizinischer Argumente enthielt, weshalb der Hexerei verdächtige Menschen nicht hingerichtet werden dürften. Weyer unterschied dabei deutlich zwischen sogenannten Hexen und Giftmischern. Letztere müssten mit dem Tode bestraft werden, aber die Vorstellung von auf Besen durch die Luft reitenden Hexen sei nur die Ausgeburt einer kranken Fantasie.
»Weyer glaubte an den Teufel«, erläuterte von Ellwanger, »und das tue ich ebenfalls. Ich glaube auch, dass der Teufel den Menschen schaden will und kann. Dagegen glaube ich nicht an die leibliche Existenz des Teufels. Damit ist für mich auch der sogenannte Teufelspakt hinfällig. Wenn aber der Teufel keine körperliche Gestalt annehmen kann, so kann er auch den Hexen keine magischen Fähigkeiten durch den Geschlechtsakt oder die Blutsbrüderschaft verleihen.
Nun gibt es allerdings Personen, die behaupten, mit dem Teufel einen Bund geschlossen zu haben, und sie beschreiben das Aussehen des Satans auch ganz genau. Aber das sind nur Vorspiegelungen des Bösen und arglistige Täuschungen, denen diese seelisch kranken oder geistig beschränkten Menschen unterliegen.«
»Ich habe Euch mit großem Interesse zugehört, Professor. Aber sagt uns doch, worin nach Eurer Meinung das böse Werk des Teufels überhaupt besteht?«, erkundigte sich Alberta in fast fröhlichem und gelöstem Tonfall, erleichtert darüber, dass nun endlich Ruhe im Gerichtssaal herrschte.
Die Beschuldigte saß währenddessen wie ein Denkmal auf ihrem Bänkchen und starrte teilnahmslos in die Ferne. Constanze von Heilbrunn-Seligenthal benahm sich, als ginge sie das Ganze gar nichts an. Niemand hätte sagen können, ob sie überhaupt zuhörte …
»Das ist eine gute Frage, Graf. Es besteht mit Sicherheit nicht darin, dass der Satan den Hexen magische Fähigkeiten verleiht, denn das kann er, wie gesagt, gar nicht.«
Der Leibarzt des Herzogs stand hochaufgerichtet vor den Herren des Gerichts und blickte jedem Einzelnen fest ins Gesicht.
»Das Böse liegt in der Folterung und Tötung Unschuldiger, meine Herren Kommissare«, sagte er ruhig und entschlossen, als er sich sicher war, dass die allgemeine Aufmerksamkeit nur ihm galt. »Ausgerechnet die Inquisitoren und Richter, die mit den Hexenverfolgungen die Macht des Teufels auf Erden bekämpfen wollen, vollenden durch die Hinrichtung Unschuldiger das böse Werk des Satans. Auch sie werden vom Teufel getäuscht und verblendet und damit zu seinen Gehilfen degradiert.«
Hörbares Seufzen, vereinzelt auch unwilliges Murren entrang sich den Anwesenden. Diese Aussage war nicht nur unerhört, sondern sogar ketzerisch. Der Zeuge schien sich nicht nur der Wahrheit seiner Argumentation, sondern mehr noch des herzoglichen Wohlwollens vollkommen sicher zu sein. Vor einiger Zeit noch wäre der Professor umgehend in Gewahrsam genommen worden. Inzwischen war man etwas toleranter im Hinnehmen von abweichenden Meinungen. Dennoch bewegte er sich auf ausgesprochen gefährlichem Terrain. Doch Emmanuel von Ellwanger wirkte keineswegs furchtsam, ja noch nicht einmal erregt; vollkommen ungerührt wartete er ab, bis sich die Unruhe im Saal gelegt hatte, ehe er fortfuhr:
»Ich kann diese Ansicht durchaus auch begründen.«
»Wir hören, verehrter Professor«, ermunterte ihn die Gräfin, die mittlerweile wirklich begann, sich wie die Advokatin der Angeklagten zu fühlen. In diesem Augenblick kippte Constanze aus der Bank und Alberta legte eine Verhandlungspause
von einer halben Stunde ein, um Hans Bürgler die Gelegenheit
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