Die Hexenadvokatin
Bild von der Persönlichkeit der Angeklagten, ehe man zu einem abschließenden Urteil gelangt.«
»Wozu?« Der andere blieb verstockt. »Was schert mich der Charakter einer Hexe? Es genügt mir, zu wissen, was sie auf dem Kerbholz hat. Was hat mich zu interessieren, ob sie als Kind fleißig gebetet hat? Ich will bloß hören, was sie mit dem Teufel zu schaffen hat, und wenn sie nicht gestehen will, dann übergeben wir sie halt dem Eisenhans.«
»Jawohl«, pflichtete ein anderer Kommissar ihm bei. »Und nach der Tortur werden wir schon wissen, was wir wissen müssen, um das Hexenluder ins Feuer zu schicken.« »Pure Zeitverschwendung, die Ihr hier betreibt, Graf«, fing der Erste wieder an. »Ihr sollt der Richter dieser Frau sein und nicht etwa ihr Rechtsbeistand .« »Das fehlte gerade noch«, fiel ein Dritter ein, »dass wir diese teuflischen Weibsbilder auch noch verteidigten!«
Zum Glück mischten sich jetzt auch die anderen Kommissare in die Diskussion ein und es zeigte sich, dass von den zwölf Beisitzern immerhin sechs aufseiten Albertas standen. Sie verteidigten vehement ihre Art, diese Verhandlung zu führen:
»Es ist durchaus nicht unsere Aufgabe, eine Verdächtige auf jeden Fall und unter allen Umständen eines Verbrechens zu überführen. Wäre es obligatorisch, eine Angeklagte zum Tode zu verurteilen, könnten wir uns nämlich das Ganze sparen und das Opfer gleich zur Richtstätte führen. Wozu denn dann überhaupt noch Prozesse?«, argumentierten die »Vernünftigen« unter den Kommissaren.
Das war Musik in Albertas Ohren. Schade nur, dass nicht alle so dachten. Aber immerhin erfuhr sie auf diese Weise, wo ihre Sympathisanten saßen und vor welchen Kollegen sie sich in Acht nehmen musste. Bei einem ihrer Gegner hegte sie die Hoffnung, ihn noch auf ihre Seite ziehen zu können.
Sie schürzte die schwarze, beinahe bodenlange Robe und setzte sich erneut auf ihren hohen Richterstuhl in der Mitte des langen Tisches, den eine Bibel, der Hexenhammer , Blätter mit Notizen, sowie zwei Leuchter mit jeweils vier brennenden Kerzen zierten. In der Rückenlehne des Stuhles war die Göttin Fortuna mit verbundenen Augen und einer Balkenwaage als Symbol der Gerechtigkeit eingeschnitzt.
Als Nächstes rief die Gräfin einen in München sehr bekannten Medicus als Zeugen auf. Dieser hatte in den letzten Wochen nur kurze Eindrücke von der Angeschuldigten gewonnen, behauptete aber, genug gesehen und gehört zu haben, um ein fundiertes Gutachten über die Gemütslage der jungen Frau abgeben zu können.
»Ihr seid neunundvierzig Jahre alt und ein Doctor Artis Medicinae? Und Euer Name lautet Professor Emmanuel Quirin von Ellwanger?«, eröffnete Alberta die Befragung.
Der Zeuge bejahte und gab an, dass er eine Villa am Würmsee und ein halbes Haus in München, in der Weinstraße 2, in unmittelbarer Nähe des Schrannenplatzes, besitze. Wegen eines Jagdunfalls habe er seine Lehrtätigkeit an der Universität Ingolstadt aufgegeben und behandle nur noch einzelne, ganz spezielle Patienten.
Kürzlich habe er sich auf Wunsch der Eltern der Beschuldigten einen Eindruck von Constanze verschafft.
»Deswegen haben wir Euch hergebeten, Professor«, sagte die Gräfin und lächelte freundlich. »Wie ist Eure fachliche Meinung über den Zustand der jungen Dame?«
»Schon wieder einer, der sie in den Himmel heben wird«, knurrte halblaut und unwillig einer der Kommissare. »Warum hat das Gericht keinen unabhängigen Arzt bestellt, der sagt, was wahr ist? Der hier wird es sich mit dem Grafen von Heilbrunn kaum verderben wollen!«
Der Professor hatte den Einwand sehr wohl gehört und wandte sich vehement gegen den Sprecher. »Ich verwahre mich entschieden gegen die Unterstellung der Parteilichkeit, Herr Richter«, schnaubte er ärgerlich. »Ich habe es nicht nötig, mich für eine bestimmte Diagnose bezahlen zu lassen. Niemals habe ich mich der Bestechlichkeit schuldig gemacht! Ich verlange eine Entschuldigung des betreffenden Kommissars.«
»Dem Richter lag es fern, Euch zu beleidigen, Professor! Das Gericht weiß, dass Ihr als untadeliger Ehrenmann und Medicus von außergewöhnlicher Reputation geltet, Herr von Ellwanger«, beeilte sich die Gräfin die Wogen zu glätten, ehe sie mit einem triumphierenden Lächeln hinzufügte:
»Möglicherweise verrate ich jetzt ein großes Geheimnis, aber ich finde, dass es Euch, Professor, zu höchster Ehre gereicht und ein für alle Mal etwaige Bedenken hinsichtlich Eurer Unparteilichkeit
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