Die Hexenadvokatin
Neuhauser Gasse entlanggekeucht war, wo der Mob es zu verhindern wusste, dass sie sich ins Jesuitenkloster oder durch die offenstehende Kirchentüre von Sankt Michael flüchten konnte.
Am Schrannenplatz gelang es ihr, in Richtung Residenz abzubiegen. Aber erst kurz vor dem herzoglichen Palast, angesichts der Wache, löste sich die Volksmenge in Windeseile auf
und Alberta schaffte es, völlig abgekämpft ins Innere des Gebäudes zu gelangen. Sie zitterte am ganzen Körper und die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Es war ihr im Augenblick auch völlig gleichgültig, dass sie jede Etikette verletzte, indem sie dem Herzog in ihrem völlig aufgelösten Zustand uneingeladen ins Haus schneite. Die sofort herbeieilenden Wachen riefen den bestürzten Maximilian.
Seine Durchlaucht und Herzogin Elisabeth waren entsetzt und empört über die Impertinenz des gemeinen Volkes. Nachdem man Alberta in den Salon gebeten und ihr ein stärkendes Bier gereicht hatte, rätselte man, wie es dazu hatte kommen können. Da waren eindeutig Aufwiegler am Werk! Aber wer hatte sie angestiftet? Maximilian persönlich ordnete eine penible Untersuchung dieses erschreckenden Vorfalls an.
Sofort äußerte er auch den Verdacht, die Familie von Heilbrunn-Seligenthal könne dahinterstecken. Alberta selbst glaubte freilich nicht daran, dass Constanzes Sippe darin verwickelt sei - hatte sie den Grafen von Heilbrunn doch heimlich durch Freunde ihres Vaters informieren lassen, sie werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um das Fräulein vor Schaden zu bewahren.
»Vielleicht war es wirklich nur eine spontane Erhebung der kleinen Leute, die sich ihre angebliche Heilige nicht nehmen lassen wollen«, gab sie zu bedenken. Das Bier zeigte allmählich eine gewisse Wirkung und Alberta fühlte sich wieder ein wenig besser, auch wenn ihr der Schreck noch für einige Zeit gegenwärtig blieb. Als erfahrener Juristin schwante ihr zudem, dass es sich äußerst schwierig gestalten würde, die Urheber des Tumults dingfest zu machen - und tatsächlich sollten alle Bemühungen der Obrigkeit, den Vorfall aufzuklären, erfolglos bleiben.
»Da Ihr gerade hier seid, Graf«, wechselte der Herzog unvermittelt das Thema, »so wisst, dass Ihr für heute Abend zu einem kleinen Empfang in der Residenz eingeladen seid. Drei Herren der französischen Hocharistokratie sind incognito in München eingetroffen, um insgeheim mit mir wichtige Angelegenheiten des französischen Hofes und der künftigen Politik Frankreichs zu erörtern. Ich möchte auch Euren Eindruck von diesen Herren und ihren Vorstellungen erfahren.«
»Sehr wohl, Eure Durchlaucht.«
Alberta verneigte sich. Was blieb ihr auch anderes übrig? Zwar hätte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als den Rest des Tages allein zu sein und in Ruhe den beunruhigenden Zwischenfall verarbeiten zu können, doch dem Wunsch des Herzogs konnte sich niemand entziehen - sie schon gar nicht, die im Augenblick mehr als jeder andere auf die Gunst des Landesfürsten angewiesen war.
Reichlich lustlos machte sie sich nach Einbruch der Dunkelheit zurecht und begab sich wieder ins herzogliche Palais.
Im Anschluss an ein exquisites Souper, an dem auch die Herzogin Elisabeth und Madame Magdalena, die zu Besuch weilende Schwester Herzog Maximilians, mit ihrem Gemahl, Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg, teilgenommen hatten, zogen sich die Damen zusammen mit der langjährigen Kammerdienerin und Vertrauten der Herzogin, Frau Marie Salvator, in die Gemächer der Landesmutter zurück.
Die Herren blieben wie üblich unter sich. Alberta hatte glücklicherweise seit langem keine Schwierigkeiten mehr damit, sich nicht zu den Damen zu gesellen. Wie selbstverständlich blieb sie bei den Männern sitzen. Am Anfang ihrer Laufbahn war das nicht immer so gewesen. Mehr als einmal hatte Pater Winfried sie am Rockschoß zurückgezogen, wenn es
hieß »Die Damen lassen sich nun entschuldigen!« und Alberta automatisch aufstehen wollte.
Offiziell separierten sich die Herren, um zu rauchen. Maximilian frönte diesem Laster aus der Neuen Welt zwar nicht, aber die meisten männlichen Gäste pflegten ordentlich zu qualmen. Alberta, die den Tabakkonsum ebenfalls ablehnte, wurde es jedes Mal beinahe übel, wenn die anderen sie »einnebelten«. Doch das Laster galt gesellschaftlich längst als anerkannt.
Die Franzosen, allesamt hochkarätige Edelleute unter Führung eines Adligen um die dreißig, mit Namen Charles d’Albert de Luynes, bereisten
Weitere Kostenlose Bücher