Die Hexenadvokatin
Wilhelm, der sich neuerdings in der Rolle des Eremiten gefiel. Eine beachtliche Veränderung
für einen Mann, der sein ganzes Leben lang ein Verschwender gewesen war …
Die rege Bautätigkeit in München sowie der beständige Handel und Wandel sagten Alberta sehr zu. So sehr sie den Chiemgau liebte - die Hauptstadt München faszinierte sie. Sicher: Die Gassen und Straßen waren uneben, eng und schmutzig und stanken zum Himmel.
Nicht wenige der Stadtbewohner sehnten sich nach den guten alten Zeiten zurück, als man eine »Rennsau« durch München getrieben hatte, um die Abfälle zu vertilgen, die die Bürger aus den Fenstern warfen. Von dieser Unsitte wollte der Herzog freilich nichts hören. Er veranlasste den Stadtrat, für Latrinen, Sicker- und Abfallgruben zu sorgen, die regelmäßig geleert und deren Inhalt von sogenannten Pappenheimern auf die umliegenden Felder verteilt wurde.
Vor allem liebte die Gräfin das Treiben auf dem Markt sowie in den schmalen Gassen der Handwerkerviertel; ein besonderes Erlebnis waren außerdem die traditionellen Umzüge und Tänze der einzelnen Zünfte. Auch die von den Kirchsprengeln veranstalteten regelmäßigen Bittprozessionen boten jedes Mal eine willkommene Abwechslung.
Was an »Natur« in der dicht besiedelten Stadt zu kurz kam - mit Ausnahme des herzoglichen Hofgartens und mancher Klostergärten gab es nur wenig Grün - genoss sie bei Ausritten in die dicht bewaldete Umgebung Münchens und entlang der vor allem im Frühjahr gefährlich wilden Isar.
Für Unterhaltung war also in jedem Fall gesorgt; dazu kam, dass sie als interessanter Neuzugang und vom Herzog protegierter Geheimer Rat in den Adels- und Bürgerhäusern wohlangesehen war und ständig eingeladen wurde. Vor allem, wenn es in diesen Familien Töchter im heiratsfähigen Alter gab …
Es gab also keinen Grund für Alberta, in ihrem neuen Domizil unglücklich zu sein. Zumeist blieb ihr ohnehin kaum Zeit, in den Tag hinein zu sinnieren. Der Herzog trug ihr viel Arbeit auf und auch ihre Freizeit war meist schon auf Wochen mit gesellschaftlichen Verpflichtungen verplant. Und dennoch: In manch stiller Minute beschlich Alberta ein leiser Zweifel. Eigentlich hatte sie ja nicht jahrelang Jura studiert, um nun derartig widerliche Prozesse zu führen, so notwendig diese auch sein mochten. Sie hatte immer davon geträumt, in juristischen und politischen Angelegenheiten Berater des bayerischen Herzogs zu sein und dadurch Macht und Einfluss zu gewinnen. Und nun ging ihr langsam auf, wozu sie der Fürst eigentlich benützen wollte. Gewiss eine verantwortungsvolle und wichtige Aufgabe für einen jungen Juristen.
Doch was man den Beschuldigten vorwarf, waren unaussprechlich ekelhafte Dinge: Hostienraub und -schändung, die Ermordung von Säuglingen, Kindern und Erwachsenen, das Herausreißen der Leibesfrucht Hochschwangerer zum Zwecke der Herstellung von Hexensalbe, der Geschlechtsverkehr mit dem Teufel, Sodomie, Leichenschändung, die Herstellung diverser Gifte, die Tötung des Viehs und das Verderben der Ernte durch Hagel und Gewitterregen.
Alberta schüttelte sich, wenn sie im Hexenhammer blätterte, diesem Regelwerk aller Richter, die gezwungen waren, sich mit dem Abschaum der Menschheit und seinen bizarren Verirrungen zu beschäftigen.
»Da muss man schon ungeheuer stark sein, um die Nerven zu behalten«, hatte Alberta Pater Winfried gegenüber geäußert. Der Benediktiner erklärte sich zum Glück sofort einverstanden, die junge Frau, an deren weiterem Lebensweg er lebhaften Anteil nahm, nach München zu begleiten.
Er fungierte ferner bei allen Prozessen, die unter Albertas
Vorsitz stattfanden, als Beichtvater der Beschuldigten, falls der eigentlich dazu berufene Geistliche »verhindert« sein sollte. Der Dekan von Sankt Peter beispielsweise, dem diese Aufgabe unter anderem oblag, drückte sich mit Vorliebe vor dieser Tätigkeit. Dem geistlichen Herrn graute es davor, die finsteren, stinkenden Zellen der Gefangenen zu betreten …
Pater Winfried war auch bei den Verhandlungen und den Torturen anwesend.
»Es ist ja immerhin möglich, dass einer der Angeklagten bereut und nach geistlichem Beistand verlangt«, behauptete er.
Wie ein Schatten folgte der Mönch somit Alberta sogar in den Gerichtssaal, konnte ein wachsames Auge auf sie haben und sie rechtzeitig warnen, falls sie etwa dabei war, einen Lapsus zu begehen.
Auch sonst wich er kaum von ihrer Seite: Gar zu vielfältig waren die Gefahren und Fallstricke
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