Die Hexenadvokatin
der verhandelten Fälle: Tod auf dem Scheiterhaufen. Unter den Opfern waren zwei Männer, ein junger und ein ganz alter. Beide wurden gespießt, ehe man sie auf dem Scheiterhaufen festband. Die übrigen drei waren Frauen verschiedenen Alters - darunter ein vierzehnjähriges Mädchen.
Als das Urteil an diesem Kind - seinem geistigen Entwicklungsstand nach höchstens siebenjährig - vollstreckt werden sollte, erlebte die Hinrichtungsstätte auf dem »Galgenberg« einen regelrechten Volksauflauf. Alle wollten anscheinend miterleben, wie so ein junges »Hexenluder« zu Asche wurde - und wie man den zwei erwachsenen Hexen die Brüste abzwickte, bevor sie verbrannt wurden.
Als der Benediktiner Winfried, der als Beichtiger anwesend war, seiner Herrin davon berichtete, sowie von der anschließenden Jagd auf Überbleibsel des unglücklichen Kindes und seiner Verwandten - versengte Gewandfetzen, Haare, Zähne und verkohlte Knochenteile -, wurde es Alberta regelrecht übel.
Durch das Versteigern solch makaberer Andenken verfügte traditionsgemäß jeder »Nachrichter«, wie man den Henker auch nannte, über einen recht einträglichen Nebenverdienst. Sehr beliebt waren die Haare von Gehenkten oder Geköpften oder - und davor ekelten sich auch robustere Naturen als »der Oberste Kommissar« - das Körperfett der zum Tode Verurteilten.
Apotheker, Wundärzte und andere Heiler pflegten aus dieser unappetitlichen Substanz höchst wirksame Salben herzustellen. Angeblich sollten diese bei Lungenleiden und Hautausschlägen noch hundertmal wirksamer sein als das übliche Dachsfett. Eingeweihte wollten überdies wissen, dass man aus dem letzten Samenerguss von strangulierten Männern noch ganz andere Heilmittel herstellte …
Bereits damals begann Alberta, sich nach Lektüre umzusehen, die eine konträre Meinung zu Hexenprozessen vertrat. Und was sie bisher nur vage geahnt hatte, verdichtete sich zur Gewissheit. Jetzt erst gingen ihr die Augen auf und sie schwor sich, in Zukunft bei Hexereiverfahren den Vorsitz zu verweigern.
Aber im Innersten ihres Herzens war sie immer noch unsicher, ob sie es tatsächlich wagen würde, Maximilians diesbezüglichen Wünschen offen eine Absage zu erteilen. So bot ihr dieser herzogliche Auftrag, das Land zu verlassen, einen willkommenen Ausweg.
Dass das eigentliche Problem damit nicht gelöst war, wusste sie: An ihrer statt würden andere Kommissare die schrecklichen Prozesse führen und die Opfer würden genauso leiden wie eh und je …
Doch zunächst war ihr eine Verschnaufpause gewährt - auch von der anstrengenden Erstellung eines neuen bayerischen
Gesetzbuches: Es würde eine wahre Erholung sein, eine Weile nichts davon zu sehen und zu hören. Der Herzog hatte ihr mittlerweile den Juristen Florian Dingler zur Seite gestellt, einen bedächtigen Mann mittleren Alters. Sollte der sich ruhig eine Weile damit beschäftigen …
»In Venedig, meine Tochter, werdet Ihr auf andere Gedanken kommen«, ermunterte Pater Winfried seinen Schützling. »Ihr werdet Euch dort erquicken an den großartigsten Kunstwerken und sehen, wie schwierig es ist, Euch letztlich für irgendein Objekt zu entscheiden. Schön, dass unser sonst so sparsamer Herrscher bei allem, was Kunst heißt, nicht knauserig ist. Also: Kauft ein, was Euch gefällt! Viele Herren in München beneiden Euch glühend um diese ganz besondere Gunst Maximilians.«
»Da mögt Ihr Recht haben, Pater. Wer hat schon die grandiose Möglichkeit, auf Kosten des Herzogs eine Reise nach Italien, in eine der schönsten und kunstreichsten Städte der Welt, nach bella Venezia , antreten zu dürfen?«
31. Mai 1611, im Palazzo des Conte di Pamfili-Morricone
»Conte, ich danke Euch im Namen meines durchlauchtigsten Herrn - des Herzogs Maximilian von Bayern - für den Verkauf dieses Porträts. Ich kann Euch versichern, dass dieses Gemälde des Malers Tizian einen ganz besonderen Ehrenplatz in der herzoglichen Kunstgalerie erhalten wird.«
Alberta zu Mangfall-Pechstein war äußerst zufrieden mit dem soeben getätigten Kauf. Gleich zu Beginn der Verhandlungen hatte sie erahnt, dass der ein wenig hochfahrende Conte sich in Wahrheit in einer pekuniären Zwangslage befand. Ehe sie ernsthaft ihr Kaufinteresse bekundete, war Alberta
so schlau gewesen, sich in kundigen Kreisen unauffällig umzuhören.
Die triste Juristentracht, die der Herzog von seinen Räten erwartete, hatte sie sofort abgelegt, kaum dass sie italienischen Boden betrat.
Weitere Kostenlose Bücher