Die Hexenadvokatin
Ihr Erscheinungsbild unterschied sich jetzt nicht mehr von dem anderer junger welscher Edelmänner: Ein leuchtend farbiges Wams, gestreifte enge Hosen, ein weißes Hemd mit Spitzenkragen und -manschetten und auffallende rote Schnabelschuhe aus Saffianleder kleideten sie, sowie eine seidene, eng am Kopf sitzende Kappe, unter der ihre schwarzen gelockten Haare bis auf die Schulter fielen. Bloß Dolch und Degen blieben dieselben wie zu Hause, genau wie ihre Geldkatze.
Ihre perfekten italienischen Sprachkenntnisse halfen ihr bei allen Unternehmungen sehr, wenngleich das Venezianische eine ganz eigene Art von Italienisch darstellte: Die Einwohner der Lagunenstadt pflegten Silben, ja halbe Wörter, einfach zu verschlucken. Alberta fand es auch nach mehreren Wochen Aufenthalt immer noch befremdlich, dass die Venezianer beispielsweise statt casa einfach nur ca’ sagten.
Immerhin verstand sie genug, um von dem empfindlichen Verlust des Conte di Pamfili-Morricone zu erfahren. Er hatte zwei seiner Karavellen, die, voll beladen mit Waren aus der Neuen Welt, am Pier von San Marco eintreffen sollten, auf der Höhe von Madeira durch Piraten eingebüßt.
Das bedeutete nichts anderes, als dass der Edelmann, ein Schwager des derzeitigen venezianischen Dogen, unbedingt Bargeld brauchte, um seinen gewohnt aufwendigen Lebensstil weiterhin pflegen zu können. Alberta entdeckte in dem am Canal Grande gelegenen prunkvollen Palazzo - außer dem Tizian - noch andere Dinge, die sie für Herzog Maximilian und für sich selbst gerne erwerben würde.
Die junge Dame aus Bayern war sich bald darüber im Klaren, dass sie äußerst geschickt verhandeln musste, war sie doch leider nicht die Einzige, die für die Kunstschätze derer von Pamfili-Morricone Interesse zeigte. Ein etwa gleichaltriger Freiherr aus der Steiermark mit florentinischer Großmutter schien mit ihr zu wetteifern, den Conte Carlo di Pamfili um seine bedeutendsten Werke zu erleichtern. Um ein Haar hätte ihr der charmante Österreicher den Tizian noch weggeschnappt …
Obwohl Alberta von dieser Konkurrenz keineswegs angetan war, musste sie sich im Geheimen eingestehen, dass sie den jungen Mann ausnehmend attraktiv fand. Ja, sogar so sehr, dass es schon fast beunruhigend war …
Sooft sie des anderen ansichtig wurde - und das geschah beinahe täglich, denn beide hatten Unterkunft in einem Nebengebäude des Palazzo Pamfili-Morricone gefunden -, kam es der jungen Frau vor, als kenne sie den steirischen Edelmann schon ihr ganzes Leben lang. Seltsamerweise schien es, als ob sie in irgendeiner unerklärlichen Weise zusammengehörten …
Beide waren Anhänger der von Maximilian gegen die »Union« der Protestanten gegründeten katholischen »Liga« sowie Freunde des habsburgischen Kaiserhauses; sie hatten den gleichen Geschmack, was Malerei und die übrige Kunst betraf - und sie hatten dieselben Vorbehalte gegenüber Papst Paul V.
Dieser war ein recht kämpferisch gesinnter Pontifex Maximus, der die unter seinem Vorvorgänger Clemens VIII. mühsam errungene Einigkeit mit Frankreich völlig grundlos aufs Spiel setzte, indem er versuchte, seine mehr als fadenscheinigen Ansprüche gegenüber der Republik Venedig durchzusetzen. Frankreich stand nämlich eisern auf Seiten Venedigs.
Papst Paul besaß allerdings in dem Provinzial des Ordens der Serviten, Pater Paolo Sarpi, der die Lagunenstadt gegen
die Ansprüche der römischen Kurie geistreich verteidigte, einen ebenbürtigen Gegner. Man sprach bereits von Papst Pauls »venezianischen Irrungen« …
Alberta und der Freiherr Albrecht von Hochfelln-Tausch - so der Name des liebenswürdigen und unverschämt gutaussehenden Edelmannes - waren sich zudem einig in der negativen Bewertung von Hexenprozessen.
»Sie sind nichts anderes als ein Mittel der Erpressung und Einschüchterung. Ferner stellen sie eine günstige Gelegenheit dar, sich die Besitztümer von vermögenden Opfern auf scheinbar legalem Wege anzueignen. Und nicht zuletzt dienen sie dazu, krankhaft veranlagten Hexenrichtern eine Befriedigung ihrer verbrecherischen Triebe zu gestatten«, erklärte der Freiherr voll Inbrunst.
Als Alberta bei seinen letzten Worten erblasste, fügte der steiermärkische Baron die logische Frage hinzu: »Wie käme es sonst, dass die meisten Delinquenten Frauen sind und davon wiederum die Mehrzahl jung und hübsch ist? Zumindest am Anfang ihres Prozesses; später erkennt sie in der Regel nicht einmal mehr ihre eigene Mutter … Weshalb hat man
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