Die Hexenadvokatin
die Rechtseinheit im gesamten Land Bayern an.
Bisher gelten die Rechtsbücher der Polizeiordnung von 1516 in der Neufassung von 1553, die Landrechtsreform von 1518, sowie die Gerichtsordnung für Ober- und Niederbayern - wobei aber die Geltung des Landrechts auf Oberbayern beschränkt ist. Der neue Kodex soll endlich umsetzen, was man seit Beginn des 16. Jahrhunderts zu erreichen bemüht ist: die gemeinrechtlichen Bestandteile der älteren bayerischen Gesetze der fortschreitenden Rezeption des römischen Rechts und den veränderten Rechtsbedürfnissen anzupassen.«
Der Mönch maß sie mit ein wenig irritierten Blicken.
»Verzeiht, Pater, ich ergehe mich wieder einmal in unverständlichem Juristendeutsch. Aber damit Ihr ermessen könnt, welch große Aufgabe vor mir und meinem Kollegen Dingler liegt, sage ich nur, dass die vom Herzog gewünschte Kodifizierung insgesamt neun Bücher umfassen wird, unter anderem zur Polizeiordnung, zur Forstordnung, zur Jagdordnung und zu guter Letzt zur Malefiz-Prozessordnung«, dozierte Alberta
und bemerkte, dass sie sich selbst in einigen Eifer hineinredete.
»Na, ich sehe schon, da hat Euch unser Landesherr einiges aufgebürdet«, bemerkte der Pater trocken.
»Das hat er in der Tat, Pater. Doch damit nicht genug: Der Herzog neigt dazu, die sogenannten Vitztumshändel - das sind alle Malefizprozesse, die zumindest theoretisch für den Angeklagten die Todesstrafe bedeuten können - nach München zu ziehen, um sie quasi unter seinen Augen verhandeln zu lassen. Über diese Praxis hat sich der Adel schon beim Landtag von 1605 beschwert. Seine Durchlaucht hat mir zu verstehen gegeben, warum er eine Zentralisierung dieser Prozesse anstrebe:
Erstens, um eine möglichst unverfälschte Information über die wichtigsten Vorgänge in Bayern zu haben und zweitens, um sich seine Mitsprache vor allem in zwei Bereichen zu sichern: In Sachen der Religion, wozu auch Hexenprozesse gehören, und in allen Angelegenheiten, die unmittelbar fürstliche Interessen berühren.«
»Das wundert mich nicht«, entgegnete Pater Winfried. »Die zentralen Anliegen unseres Herzogs sind nun einmal die Religion und seine eigene Souveränität.«
»Darum hat er bereits im Jahr 1606 dem Hofrat und den einzelnen Regierungen in Bayern die Führung von genauen Prozessprotokollen befohlen. Sie ermöglichen bereits heute unserem Landesherrn die Kontrolle und gegebenenfalls das Eingreifen in die Praxis der Gerichtsverfahren.«
»Was sicher nicht allen Landständen schmeckt.« Der Benediktiner kicherte, da er an den Vater Albertas dachte, der jedes Mal tobte, wenn der Herzog in seine gräflichen Hoheitsrechte eingriff und Graf Wolfgang Friedrich seine »Edelmannsfreiheit« von 1557 bedroht sah.
»Na, immerhin bemühen sich Adel und Klerus, die ärgsten
Auswüchse willkürlicher Verurteilungspraxis zu verhindern oder wenigstens einzudämmen. Aber lasst uns nun zu Tisch gehen, Pater. Wir können uns ja auch beim Essen weiter unterhalten.«
Mit diesen Worten schritt Alberta ins Speisezimmer voran; erst jetzt, da ihr der Essensduft in die Nase drang, bemerkte sie, wie hungrig sie war. Sie und der Pater waren nicht darauf angewiesen, die Möglichkeit wahrzunehmen, sich aus der eigens vom Herzog für Hofbeamte eingerichteten Küche verpflegen zu lassen. Alberta und ihr Mentor schätzten die Speisen, die ihr eigener Koch vorzüglich zuzubereiten verstand, weitaus mehr. Obwohl beide der Wahrheit die Ehre geben und zugeben mussten, dass an Maximilians Hof für alle in seinen Diensten Stehenden sehr gut gesorgt wurde.
Gräfin und Mönch nahmen einander gegenüber an dem Tisch in dem kleinen Speisezimmer Platz, in dem sie für gewöhnlich ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegten. Der große Speisesaal mit der langen Tafel, der mehrstufigen Anrichte und den beiden großen Schränken, die das Geschirr, die prunkvollen Fayenceaufsätze und das Tafelsilber enthielten, wurde nur benützt, wenn die gesamte Familie zugegen war oder wenn es Gäste zu bewirten galt.
Allwöchentlich waren die Dienstboten damit beschäftigt, das silberne Besteck, die Vorlegegabeln, die Salzstreuer, die Silberbecher und Gebäckschalen zu polieren …
Als der Diener sich nach dem Austeilen von Brotfladen und der schmackhaften, dicken Gemüsesuppe in den schlichten Steingutschalen (das Majolikageschirr wurde nur an Sonnund Feiertagen aufgedeckt) in die Küche zurückgezogen hatte, setzten die beiden ihre Unterhaltung fort. Dabei löffelten sie den Eintopf mit
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