Die Hexengabe: Roman (German Edition)
kleinen Ächzen hievte der Missionar seinen Sack von den Schultern auf die Planken.
Rosa hätte am liebsten verächtlich auf den Boden gespuckt. Sie war nicht schüchtern, aber sie musste sich vor diesem Mann in Acht nehmen, diesem Lügner und Betrüger.
Und was war sie? Log sie nicht auch ständig? Auf einmal dämmerte ihr etwas Erfreuliches. Er konnte sie nicht verraten, ohne sich selbst als Betrüger bloßzustellen. Sie war also gar nicht in Gefahr. Wenn er sie als Frau enttarnen würde, konnte sie ihn als Jesuiten enttarnen.
Sie hob etwas mutiger den Blick und schaute in seine gletscherseegrünen Augen, was sie einen Moment vollkommen aus der Fassung brachte. Sie atmete schneller.
Der Missionar reichte ihr seine Hand. »Gott mit dir, Junge.« Er musterte sie gründlich, und Rosa war froh, dass sie ihren Busenschal fest umgewickelt und sich heute Morgen das Gesicht mit reichlich Bootsdreck eingeschmiert hatte.
»Du erinnerst mich an jemanden, den ich mal in Nürnberg getroffen habe. Dort scheint ein jeder Handschuhe zu tragen. Sag, hast du Verwandte da?«
Rosa erstarrte, er hatte sie erkannt. Ganz klar. Sie schüttelte den Kopf, weil sie keinen Ton herausgebracht hätte.
»Nun, andererseits …« Der Missionar rieb sich das Kinn mit dem tiefen Grübchen darin und räusperte sich dann, bevor er fortfuhr. »… andererseits sind sich die Milchbärtigen doch alle ähnlich, glatt wie die Ärsche von Säuglingen.« Der Missionar zwinkerte dem Arzt zu. »Manch einem gefällt’s!«
Wolfhardt wurde feuerrot im Gesicht. »Was erlaubt Ihr Euch?«
»Gar nichts, gar nichts, Gottes Wege sind eben unerforschlich …« Der Missionar verzog seinen schönen, vollen Mund zu einem dermaßen falschen Lächeln, dass Rosa nur mit Mühe ein Schütteln unterdrücken konnte. Dieser elende Heuchler!
Was ihn wohl auf dieses Schiff gebracht hatte?
Ob sie mit Wolfhardt darüber reden konnte? Eher nicht, denn dann würde der wissen wollen, woher sie den Missionar kannte.
Und Willem, der Einzige, dem sie an Bord noch vertrauen konnte, sprach immer noch nicht. Wolfhardt hatte sogar den Verdacht geäußert, dass Willem taub und stumm geworden sein könnte.
»In was für einer Mission seid Ihr eigentlich unterwegs?«, fragte Rosa, um von sich abzulenken, und bemühte sich um eine tiefe Männerstimme.
Der Missionar legte den Finger an seine Lippen. »Leider ist es mir nicht erlaubt, mich darüber zu äußern.«
»Ihr redet gerade so wie ein Jesuit!«, erwiderte Rosa kämpferisch.
»Was weißt du denn von den Jesuiten, mein Sohn?«, fragte der Missionar. Es schien ihr, als würde er sie jetzt anders betrachten. Er war auf der Hut.
»Nicht viel, nur dass sie gern in geheimer Mission des Heiligen Vaters unterwegs sind, sich als Retter in der Not gebärden und dabei so merkwürdige Kappen tragen.« Sollte er ruhig ins Schwitzen kommen.
»Ich habe noch nie gehört, dass das Heidenbekehren in aller Heimlichkeit vonstattengeht«, mischte sich Wolfhardt wieder ein.
Der Missionar grinste. »Da habt Ihr völlig recht. Aber meine Mission geht weit über das Heidenbekehren hinaus.«
Rosas Finger wurde kalt.
Interessant. Als er behauptet hatte, in geheimer Mission unterwegs zu sein, war nichts passiert, jetzt aber log er.
»Und ist Euer Name auch streng geheim?«, fragte Rosa und war gespannt, wie ihr Finger bei seiner Antwort reagieren würde.
»Mit Verlaub«, der Missionar verbeugte sich mit einem leichten Kratzfuß vor ihnen, »Johann Basilius Martin Scheidegger ist mein Name.«
Rosas Finger wurde noch kälter.
Definitiv nicht sein richtiger Name.
»Was soll das hier werden?« Der Profos war vom Land zurück und beäugte die Dreiergruppe misstrauisch, seine Lippen missbilligend zusammengepresst, dünn wie ein Stück Draht.
»Und Ihr seid?«, fragte der Missionar und streckte dem Profos mit einem Lächeln die Hand hin.
»Lorenz Löhner, Profos.« Der Profos ließ die hingestreckte Hand unbeachtet und schnaubte. »Missionare sind nichts anderes als faule Hunde, die auf Kosten der VOC eine Reise antreten. Das ist alles, was ich zu Eurer Zunft zu sagen habe. Beten statt arbeiten, mehr habt Ihr nicht zu bieten. Da lobe ich mir die Hugenotten, die wir für die VOC anno 1688 runter ans Kap der Guten Hoffnung gebracht haben.«
Rosa bewunderte, wie gelassen der Missionar die verschmähte Hand in die Soutane zurücksteckte und lächelte.
»Das glaube ich gern«, sagte der Missionar, »ein Katholik arbeitet zweihundertsechzig Tage im
Weitere Kostenlose Bücher