Die Hexengabe: Roman (German Edition)
sonst fragen? Willem vielleicht?« Rosa lachte bei der Vorstellung, was ihr der Kindskopf darüber sagen würde. »Oder gar den Profos?« Der Gedanke, dass dieser gnadenlos gemeine Mann jemals so etwas wie Liebe gefühlt haben sollte, war so unvorstellbar komisch. Nein, eigentlich nicht komisch, vielmehr abstoßend.
Sie hatten das Chaos beseitigt und standen sich gegenüber.
»Mich darfst du das alles nicht fragen.«
»Warum nicht?«
Er ging einen Schritt weg von ihr.
»Weil ich immer nur die Falschen geliebt habe«, flüsterte er. »Und es scheint sich nicht viel geändert zu haben in meinem Leben.«
Das klang sehr tragisch, fand Rosa, und sie versuchte wirklich, sich das vorzustellen. Aber konnte man wirklich so alt werden und doch immer nur die Falschen lieben? Sie seufzte, denn ihr Finger verriet ihr, dass er die Wahrheit gesagt hatte, doch wie immer hatte ihr der Finger nichts sonst preisgegeben. Ihre Frage nach dem Warum nicht beantwortet.
Sie standen sich nun im Halbdunkel der Kammer wieder dicht gegenüber. Wolfhardt streckte seine Hand nach ihrem Gesicht aus, ließ sie dann abrupt fallen. Er nahm die Latwerge und reichte sie Rosa. »Bring das dem Profos, der wartet schon darauf. Es ist spät.«
Er stürmte unvermittelt an ihr vorbei nach draußen, wo er ganz offensichtlich mit jemandem zusammenstieß.
»Ver…!«, hörte sie und »Pass doch auf!« und »Was habt Ihr hier zu suchen?«
Sie folgte Wolfhardt, der mit dem Profos vor der Kammer stand. Beide hielten sich die Köpfe.
»Braucht jemand Hilfe?«, fragte Rosa. »Wir hätten da wunderbare Pflaster in der Art des …«
»Scher dich zum Teufel!«, brummte der Profos, und Wolfhardt fügte hinzu: »Verschwinde!«
Das fand Rosa jetzt doch reichlich unangemessen, außerdem befand sich ihre Hängematte ja vor der Kammer neben den Männern.
Also ging sie wieder zur Reling und starrte aufs Wasser, und jetzt, wo sie darauf achtete, konnte sie den Geruch wahrnehmen, von dem der Missionar gesprochen hatte.
Es roch abgestanden, das Meer war glatt wie ein straff gespanntes schwarzes Seidentuch, und das Schiff ächzte zwar noch, aber es stampfte nicht mehr auf und ab.
Sie kauerte sich mit dem Rücken an die Reling und sah zum Himmel, der sich nun schwarz und undurchdringlich über ihr wölbte.
Wie wohl der Himmel über Indien, wie Dorothea aussehen würde? Würden sie sich wiedererkennen? Ob sie schon ihren Brief bekommen hatte, der ihre Ankunft ankündigte? Würde Dorothea gar mit nach Hause kommen?
Der Griff ihres Dolchs drückte an Rosas Hintern. Sie zog ihn aus dem Hosenbund und betrachtete die Steine, die sogar das wenige Licht der Nacht auffingen und funkelten. Sie erinnerte sich an das leise Klirren von Siranushs Armreifen.
Schritte näherten sich. Eilig versteckte Rosa den Dolch wieder in ihrem Hosenbund. Als sie aufsah, erkannte sie den Missionar.
»Hast du keine Hängematte?«, fragte er und setzte sich ungefragt neben sie auf die Planken.
»Was geht dich das an?«, gab sie zurück und wünschte sich, er würde gehen.
»Nicht das Mindeste. Ich frage mich nur, was dich so umtreibt. Wie du ja weißt, ist nur ein gutes Gewissen ein weiches Ruhekissen. Gibt es etwas, das du dir vorzuwerfen hast?«
Rosa biss sich auf die Lippen. Viel lieber aber hätte sie ihn geohrfeigt. Was sollten diese Andeutungen? Und was für eine Unverschämtheit von ihm, sich als ihr Seelsorger aufzuspielen, wo er selbst doch der übelste Lügner von allen war.
Stimmen näherten sich. Der Kapitän und der Profos schlenderten heran.
»Was habt Ihr immer noch an Deck zu suchen?«, herrschte sie der Profos an.
Der Kapitän legte eine Hand auf dessen Arm.
»Es ist doch so eine schöne Nacht.« Er seufzte. »Eine viel zu schöne Nacht.«
»Kapitän«, der Missionar deutete eine Verbeugung an, »der junge Mann hier brauchte dringend seelischen Beistand.«
Rosas Finger wurde kalt, aber diesmal wunderte es sie nicht.
»In welcher Angelegenheit denn?«, fragte der Profos, und es war deutlich zu hören, dass er dem Missionar kein Wort glaubte.
Rosa war gespannt, was der Missionar antworten würde.
»Nun, das ist ein wenig delikat. Sagen wir so, dieser moralisch bemerkenswert gefestigte junge Mann hatte Sehnsucht nach seiner Geliebten und wollte meinen Rat zu gewissen fleischlichen Sünden.«
Ihr Finger wurde nicht kälter, das gab Rosa zu denken, denn der Missionar log doch, oder nicht?
»Das versteht jeder Mann an Bord, daran muss man sich erst gewöhnen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher