Die Hexengabe: Roman (German Edition)
zeigte auf ein Schiff, das drei Plätze weiter ankerte, von dem gerade Hunderte von Menschen mit schwarzer Hautfarbe heruntergetrieben wurden wie Ochsen.
»Aber da sind auch Kinder dabei!«
Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Je nachdem, wie kräftig und geschickt sie sind, bringen sie besonders viel Geld.«
Schaudernd dachte Rosa daran, was passieren würde, wenn sie ihre Reise nicht erfolgreich zu Ende brachte. Gewiss, ihre Schwestern und sie würden nicht als Sklavinnen verkauft werden, aber man würde sie aus Nürnberg jagen, und auch sie wären dann gezwungen, sich zu Gott weiß welchen Arbeiten zu verdingen.
»Die Amalberga nimmt keine Sklaven auf, warum also halten wir überhaupt hier, wenn es so schwierig ist?« Der Wind zerstreute ihre Worte und pfiff so laut um Rosas Ohren, dass sie ihre Frage lauter wiederholte.
»Weil wir frisches Wasser brauchen«, brüllte Wolfhardt zurück, »und weil weitere Söldner etwas an Bord bringen, das nach Kandy transportiert werden soll. Außerdem nehmen wir hier auch den Missionar auf. Es ist gut, einen Mann Gottes an Bord zu haben – man weiß ja nie, wie sich die Dinge entwickeln.«
»Und warum segeln wir nicht einfach an der Küste Afrikas entlang, da gibt es doch sicher auch Häfen, oder nicht?«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Es gibt nur wenige Städte, außerdem ist die Küste Afrikas sehr gefährlich. Ab hier sind der Kapitän und sein Steuermann wirklich gefordert, denn du musst in einer etwa dreihundert Seemeilen breiten Fahrrinne bleiben, um nicht in eine der berüchtigten Strömungen zu geraten, die dich direkt in einen Doldrum bringen können.«
»Doldrum?«
»Das sind Flauten rund um den Äquator, die sich so lange hinziehen können, dass die ganze Mannschaft verhungert, bevor ein Wind aufkommt.«
»Bei dem Wind, der hier den ganzen Tag über bläst, kann ich mir nicht vorstellen, dass es wirklich dermaßen windstill sein könnte. Hast du schon mal erlebt, dass die Mannschaft beinahe verhungert ist?«
Der Arzt sah auf das Gewimmel im Hafen und schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie.«
Rosas Finger wurde zum ersten Mal seit langer Zeit eiskalt, doch sein finsterer Gesichtsausdruck hielt sie davon ab, nachzufragen, warum er sie belog.
Am Hafen lichtete sich das Getümmel, die Menschen machten Platz für einen Trupp Reiter, der etliche Kisten und Fässer auf einem Wagen zur Mole transportierte. Dort stemmte sich der Profos gegen den Wind und versuchte, die flatternde Liste in seiner Hand abzuhaken.
Immer wenn er nickte, rollten oder trugen die Männer die Waren über die bereitgelegten Planken an Bord, wo der Geschützmeister die Söldner in Empfang nahm und der Proviantmeister die Wasserfässer überprüfte.
Rosa hätte bei dem ganzen Trubel beinahe den Missionar übersehen. Nur mit einem Sack über der Schulter betrat er die Planken, die zur Amalberga von Gent hinaufführten.
Sie kniff die Augen zusammen, denn der Mann kam ihr bekannt vor. Gefährlich weit beugte sie sich über die Reling, um ihn besser betrachten zu können.
Kein Zweifel, sie kannte diesen großen, breitschultrigen Kerl, und je näher er herankam, desto sicherer wurde sie.
Er betrat das Schiff, als wäre es seins, nickte den Matrosen zu und schritt über das Deck, als wäre er der Erste Offizier. Er schien geradewegs auf sie zuzukommen.
Rosas Herz klopfte vor Entsetzen, als wäre sie gerannt. Ja, das waren dieselben eisgrünen Augen. Augen wie das Wasser der Etsch. Was, wenn diese Augen ihre Verkleidung durchschauen würden? Am liebsten hätte sie sich sofort ins Unterdeck geflüchtet, doch sie blieb wie gelähmt stehen.
Was hatte der katholische Priester hier zu suchen, noch dazu als evangelischer Missionar? Konnte man so einfach die Konfession wechseln wie seine Leibwäsche? Und was hatte der Mann in der Nacht bei Baldessarini zu suchen gehabt?
»Das ist mal ein erfreulicher Anblick.« Wolfhardt schob sein langes weißgraues Haar ordentlich hinter die Ohren, was vergeblich war, denn der Wind zerzauste es sofort wieder. Er zuckte mit den Achseln, richtete sich auf und schritt dem Missionar entgegen.
»Willkommen an Bord!«, sagte er, »ich bin der Schiffsarzt, Wolfhardt Leonberger.«
»Ich sehe mal nach, was unsere Patienten machen …«, murmelte Rosa und drehte sich zum Gehen, doch Wolfhardt hielt sie fest.
»Sei nicht so ein ungehobelter Klotz! Begrüße unseren Neuankömmling.«
Rosa starrte auf die Planken.
»Schüchtern, Euer Schiffsjunge, hä?« Mit einem
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