Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Missionar trat einen Schritt zur Seite und lachte leise.
Dieses Lachen ärgerte Rosa erst recht.
»Nein, nicht mit allem«, sagte er. »Aus dir zum Beispiel werde ich nicht schlau. Nimm dich in Acht vor dem Arzt. Mir scheint, er hat einen Narren an dir gefressen. Und das ist auch schon anderen aufgefallen.«
Rosa hoffte, ihr Finger würde kalt werden, als Zeichen dafür, dass der Missionar mal wieder log. Als nichts geschah, ärgerte sie sich. Wolfhardt war zwar ein Trunkenbold, aber sonst ein ordentlicher Mann, der sie bisher einwandfrei behandelt hatte.
»Aus dir werde ich auch nicht schlau!« Sie beschloss, ihn ebenfalls zu duzen.
Seine Reaktion war nur ein leises Lachen. »Nun, in der Tat, das geht mir selbst genauso!«, sagte er dann. Und darüber musste er schon wieder lachen.
»Was gibt es denn hier mitten in der Nacht so Lustiges? Tanzende Seejungfrauen?« Wolfhardt war unbemerkt herangekommen.
»Keine Jungfrauen weit und breit«, sagte der Missionar, »außer dieser hier neben mir.« Und dann fügte er ein lang gedehntes »Noch« hinzu und klopfte mit der Hand an die Reling, als sei das wirklich ein guter Witz.
Rosa war froh, dass es dunkel war und man nicht sehen konnte, wie ihr Gesicht rot anlief. Sie war keine Jungfrau mehr, aber das konnte er nicht wissen. Doch er hatte sie erkannt und machte sich einen Spaß daraus, sie zu quälen.
»Wollt Ihr damit schon wieder irgendwas andeuten?« Wolfhardt klang scharf.
»Nichts, rein gar nichts! Entschuldigt mich jetzt.«
Der Missionar entfernte sich.
»Ich habe dich gesucht. Willem hat eben sein erstes Wort gesprochen.« Wolfhardt lächelte. »Ich glaube, er wird wieder!«
»Dann gehen wir zu ihm«, schlug Rosa vor.
»Geh du allein, aber überanstrenge ihn nicht. Ich bleibe hier, ich brauche etwas frische Luft.«
Rosa stürmte nur allzu gerne davon.
Der Missionar war ein abscheulicher Mensch, er hatte Spaß daran, sie zu quälen.
Aber sie war nicht bereit, sich das gefallen zu lassen.
Als sie bei Willem angelangt war, hockte sie sich neben ihn. »Willem!«
Er schlug die Augen auf, und als er sie erkannte, verzog er den Mund zu einem Grinsen. »Carlo! Du siehst mies aus, du solltest dich’ne Runde zu mir legen. Ist gar nicht so übel …«
»Das würde dem Profos nicht schmecken.« Rosa musste ein paar Mal schlucken und versuchte dann, ihre Rührung wegzuräuspern.
»’n scharfer Hund das.« Willem schloss seine Augen wieder.
Rosa befühlte seine Stirn. Sie war kühl.
Als sie bemerkte, dass die anderen Verletzten sie beobachteten, versuchte sie, ihre Gefühle besser zu verbergen. Sie stand auf, schritt die Reihen durch, zupfte hier und da an einer Decke und murmelte freundliche Worte.
Dann ging sie zurück zu ihrer Hängematte, dabei musste sie die ganze Zeit an den Missionar denken. Er machte ihr Angst, und er machte sie neugierig, und sie verabscheute ihn. Ihr Leben in Nürnberg in der Werkstatt ihres Vaters hatte sie nicht auf so ein Gefühlswirrwarr vorbereitet, dachte Rosa. Sie warf sich in die Hängematte und starrte in den Himmel, der jetzt so voller Wolken war, dass man keine Sterne sehen konnte.
Sie war ungerecht – wie hätte ihr Vater denn ahnen können, dass sie einmal in Männerkleidern auf einem Schiff nach Indien fahren würde? Oder dass sie einen Lügner und Betrüger treffen würde, der sie durcheinanderbrachte. Sie fragte sich, ob ihre Mutter jemals den Vater durcheinandergebracht hatte oder ihr Schwager die Dorothea.
»Entschuldige …« Wolfhardt stand neben ihrer Hängematte und riss sie aus ihren Gedanken.
»Ich wollte dich nicht stören, aber der Profos behauptet, er braucht für den Waffenmeister jetzt sofort ein Abführmittel, weil der sich in Krämpfen winde.« Wolfhardt schloss die Tür auf.
Rosa stieg aus der Hängematte. »Ich zünde eine Kerze an und leuchte dir.«
Nachdem sie eine Kerze angezündet hatte, drängten sich ihr die Worte auf die Lippen, ohne dass sie sich bremsen konnte. »Hast du schon einmal geliebt?«, fragte sie Wolfhardt, in der Hoffnung, der alte Mann würde ihr etwas erzählen, doch kaum hatte sie es ausgesprochen, hatte sie auch schon Angst, weil Männer vielleicht niemals über so etwas redeten.
Wolfhardt ließ den Pott mit der Latwerge fallen.
»Das geht dich nichts an!«
Sie ging zu ihm und half ihm dabei, die Scherben aufzusammeln und von der Latwerge zu retten, was zu retten war.
»Warum fragst du mich das?« Wolfhardts Stimme klang seltsam belegt.
»Wen kann ich denn
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