Die Hexengabe: Roman (German Edition)
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»Touché!«
»Du sprichst Französisch?«
»Oui, Mademoiselle.« Jetzt neigte er höflich den Kopf. »Ich wüsste nicht, was ich dir sagen sollte. Wozu auch. Nimm mich einfach so, wie ich bin.«
Rosa keuchte vor Anstrengung. »Unsinn, jeder Mensch ist mehr als nur er selbst, ist immer auch seine Geschichte. Wenn man seine Geschichte nicht kennt, ist man nur ein halber Mensch. Und wie kann ich dich jemals kennen, wenn ich nicht mehr von dir weiß?«
Luis rutschte vorsichtig ein Stück näher. Die schwarzen Schatten in seinem Gesicht verwandelten sich so zurück in einzelne Bartstoppel. Das Grün seiner Augen hatte nichts Überschäumendes mehr, es wirkte wie vertrocknetes Gras. »Du kannst es nicht lassen. Tag für Tag quälst du mich mit diesen Fragen. Zeitverschwendung! Ist doch völlig einerlei, wo ich herkomme – was zählt, ist das Jetzt.«
» Jetzt sitzen wir seit drei Tagen in diesem Boot.« Rosa rang sich ein Lächeln ab. »Und ich finde, es wäre genau jetzt an der Zeit, mir zu erklären, warum du mal als Jesuit, mal als Protestant kostümiert bist. Was von alldem bist du nun eigentlich?«
»Weißt du denn wirklich, wer du bist?«, gab er schnell zurück.
»Natürlich!« Rosa wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn, damit er nicht in ihre Augen tropfte. »Ich bin Rosa Sibylla Zapf, Tochter des Spielkartenmachers Zapf, meine Mutter stammt aus einer alten Nürnberger Apothekerfamilie, ich habe eine Halbschwester, die mein Vater mit in die Ehe gebracht hat, und zwei jüngere Schwestern.«
Luis seufzte, dann gähnte er. »Rosa, du hast meine Frage nicht verstanden. Es ist egal, wer dein Vater ist – wer bist du? Was macht dieser elfte Finger mit dir?« Er gähnte noch einmal herzhaft. »Ich glaube nicht, dass du das weißt. Und jetzt rudere, was das Zeug hält.«
»Luis!«, widersprach Rosa, »es ist nicht egal, wer mein Vater ist, und ich weiß sehr wohl, wer ich bin. Ich bin Rosa …« Sie brach ab. Plötzlich verstand sie, was Luis gemeint hatte. Wenn man sie fragte, wer sie sei, hatte sie immer geantwortet, sie sei die Tochter von … Aber wer war sie darüber hinaus? Und nie hatte sie sich als Tochter ihrer Mutter betrachtet, sondern immer nur als die ihres Vaters.
Siranush fiel ihr ein. Die würde sich bestimmt niemals als Tochter von jemandem beschreiben, sondern einfach als Siranush. Aber was war mit Arevhat, Siranushs Tochter, wie würde die von sich sprechen?
Luis räusperte sich, beinahe so, als hätte ihr nachdenkliches Schweigen ihn ermutigt.
»Ich bin Jesuit und Protestant und deshalb nichts von beidem.« Er biss sich auf die Lippen, als hätte er damit schon zuviel gesagt.
»Beides?«
»Meine Eltern waren Hugenotten.« Er zeigte auf seine Halskette. »Die vier Lilien, die das Kreuz umgeben, zeigen die Verbundenheit der Hugenotten mit Frankreich, und weil jede Lilie drei Blätter hat, symbolisieren sie auch die zwölf Apostel. Die herabhängende Taube verkörpert den Heiligen Geist. Ich habe es von meiner Mutter an ihrem Todestag bekommen. Es war das Einzige, was mein Vater ihr jemals geschenkt hat.«
Das warf noch mehr Fragen für Rosa auf. Was hatte ihr Vater mit Hugenotten zu tun gehabt? Und Luis hatte gesagt, seine Eltern waren Hugenotten; hieß das, sie waren tot? Doch sie wagte nicht, etwas zu sagen, um ihn nicht vom Reden abzubringen, stattdessen nickte sie ihm aufmunternd zu.
»Hast du schon mal vom Edikt von Nantes gehört?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nun, es ist auch gleichgültig, denn es wurde von König Ludwig XIV. im Oktober 1685 wieder rückgängig gemacht, und die Hugenotten durften ihren Glauben nicht mehr ausüben. Glaube!« Er spuckte ins Wasser. »Die Geistlichen, die ihrem Glauben nicht abschwören wollten, wurden des Landes verwiesen, aber alle ihre Kinder, die älter als sieben Jahre waren, mussten zurückbleiben. Mein Vater war ein begnadeter Handschuhmacher und noch dazu ein Geistlicher, aber er war auch ein schwacher Mann, besessen vom rechten Glauben. Der war ihm wichtiger als seine Familie, seine vier Kinder.
Meine zwei jüngeren Schwestern kamen in Lyon in ein Armenhaus, wo sie bald starben. Meine Lieblingsschwester, die gerade erst sechs geworden war, Marie-Christin, hat er mitgenommen. Ich allerdings war schon dreizehn, ein hoffnungsvoller Schüler, und hatte die Ehre, von den Jesuiten aufgenommen zu werden! Ehre!« Er spuckte wieder ins Meer und schwieg. Rosa hütete sich davor, ihn zu unterbrechen.
»Als man mir nach
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