Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Jahren endlich eine kleine Besorgung anvertraute, bin ich geflüchtet, um nach meiner Familie zu suchen. Und weil mir die Jesuiten immerhin eines beigebracht haben, nämlich das Denken, fand ich schnell heraus, dass meine Eltern nach Erlangen gegangen waren.
Zuerst war es ihnen gut gegangen, jedenfalls bis meine Schwester, die sehr ungeschickt beim Nähen und Zuschneiden war, damit begann, im Safranhandel in Nürnberg zu arbeiten. Schon nach kurzer Zeit wurde sie vom Nürnberger Rat entlassen, weil der Oberste Losunger behauptete, sie sei unehrlich und hätte Safran gestohlen. Das verbreitete sich in Windeseile von Nürnberg bis nach Erlangen und danach kaufte niemand mehr bei meinen Eltern. Und wie ich herausfand, erzählte auch Baldessarini vernichtende Geschichten über meine Eltern und Marie-Christin. Ihre Handschuhe seien billiger Pfusch, aus minderwertigem Material, schlecht genäht, und meine Schwester eine Hure und Diebin. Und als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, ging ihr Haus eines Nachts in Flammen auf.« Luis’ Stimme brach, und er wischte sich über die Augen.
Das brachte Rosa noch mehr ins Grübeln. Wenn ihr Vater auf dem Bild mit dem brennenden Handschuh auf diese Ereignisse angespielt haben sollte, musste er davon gewusst haben. Doch woher, und was hatte ihn dazu bewogen, dieses Bild zu malen?
Rosa hätte gern etwas Tröstliches gesagt, war sich aber sicher, dass Luis auf keinen Fall ihr Mitleid wollte.
Dieser zuckte mit den Schultern, als hätte das alles nichts mit ihm zu tun, fuhr dann jedoch fort:
»Nur meine Schwester war zu Hause, weil sie krank war, alle anderen besuchten den Gottesdienst. Marie-Christin wurde von den Flammen im Schlaf überrascht, aber sie hat überlebt. Sie wurde schrecklich entstellt, was meinen Vater darin bestärkt hat, sich als Hiob zu betrachten.« Luis lächelte böse. »Hiob wurde in letzter Minute von Gott, dem Herrn, gerettet, mein Vater aber nicht. Meine Eltern starben elend im Siechhaus. Nur meine Schwester ist noch da, und für die werde ich sorgen. Gut sorgen!«
Rosa fehlten die Worte, und sie hätte gern ihre Hand auf seine gelegt, aber er sah dermaßen finster aus, dass sie sich nicht traute.
»Und was hast du nun davon, dass du das weißt?«, fragte er mürrisch.
Während Rosa noch überlegte, was sie antworten könnte, ohne ihn zu kränken, redete er schon weiter, als wäre ein Damm gebrochen.
»Glaube? Sentimentaler Mist, das alles. Es gibt nur einen Glauben, für den es sich lohnt zu sterben, und das ist der Glaube an sich selbst. Und jetzt sollten wir endlich darüber reden, wie wir am Kap der Guten Hoffnung Geld für eine Weiterfahrt verdienen können. Genug der Geschichten!«
Er schaufelte sich Wasser ins Gesicht, als ob er seine Rede abwaschen wollte. Seine Bewegungen waren jedoch langsam, als würde ihm jeder Antrieb fehlen.
Rosa leckte über ihre aufgesprungenen Lippen. Sie brauchten unbedingt Wasser. Bald! Der Gin war schon seit gestern ausgetrunken.
»Reden wir über Geld.« Luis räusperte sich, um seiner vom Reden trockenen Kehle wieder einen Ton zu entlocken. »Hast du welches in deine Hose eingenäht?«
»Nein.«
»Macht nichts, für dich wird es einfach. Weiße Frauen sind sehr gesucht.« Er grinste sehr breit. »Du könntest am Kap als Hure arbeiten.«
»Würdest du das auch zu deiner Schwester sagen?« Rosa zitterte vor Zorn. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu sprechen? Gerade eben hatte sie noch so viel Mitgefühl für ihn gehabt, und schon zerstörte er wieder alles.
Er presste seine Lippen zusammen und flüsterte dann: »Meine Schwester ist entstellt, da zahlen die Kerle nicht mehr viel, aber du bist schön und blond.«
»Und du glaubst«, Rosa brachte vor lauter Wut kaum die Worte heraus, »weil ich es so dermaßen genossen habe, nackt vor einem Haufen Dreckskerle zu stehen, da wäre es mir egal, wohin sie mir ihre aufgereckten Glieder schieben, ja?« Sie hätte ihm gern eins mit den Ruderblättern übergezogen, stattdessen atmete sie tief durch und zog die Ruder schneller durchs Wasser.
Luis’ Gesicht überzog sich mit flammender Röte, was Rosa mit großer Genugtuung erfüllte.
»Du hast recht, das war abscheulich von mir. Ich wollte dich kränken, weil du mich dazu gebracht hast, sentimental zu werden. Es tut mir leid.«
Rosa zuckte mit den Schultern. »Schon gut.« Immerhin hatte sie es ihm zu verdanken, dass sie am Leben war. »Aber sag so etwas nie wieder.«
»Was kannst du denn sonst noch?«,
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