Die Hexengabe: Roman (German Edition)
habe. Es wächst hier, und das bedeutet, dass das Wasser immer seichter wird.« Ein Schwall Wasser schwappte in Luis’ Mund, was ihn verstummen ließ. Er zog sich zusammen und hustete. Rosa konnte sich deshalb nicht länger an ihm festhalten, musste loslassen, strampelte mit den Beinen, die sich im Seetang verfingen.
»Ruhig bleiben, verdammt noch mal, ganz ruhig!«, rief Luis, als er wieder Luft holen konnte. Er schwamm zu ihr, packte sie und zog sie weiter.
Der Strand war immer noch weit entfernt, als Luis unvermittelt innehielt.
»Was ist?«, fragte Rosa.
»Fühl mal. Hier kann man stehen!«
Rosa tastete mit den Füßen den Untergrund ab. Weiche Pflanzen … und dann Sand.
»Ich stehe!«, jubelte sie. »Ich stehe! Wir haben es geschafft!«
Luis legte seine Arme um sie. »Das sollten wir feiern!« Er zog sie an sich, hob sie hoch und trug sie durch das seichte Wasser bis zum weiß leuchtenden breiten Sandstrand, wo er sie schwer atmend, aber strahlend herunterließ.
Es war so schnell gegangen, dass sie gar nicht protestieren konnte. Ihr Herz hämmerte immer noch, aber jetzt war sie glücklich, weil die Angst, im Wasser unterzugehen, endlich der Freude darüber gewichen war, Boden unter den Füßen zu spüren.
Luis’ grüne Augen betrachteten sie, als sähe er sie zum ersten Mal. »Du bist trotz allem, was diese Reise dir angetan hat, immer noch so eine schöne Frau. Da könnte selbst ein Heiliger schwach werden.« Er beugte sich zu ihr, drückte einen sanften Kuss auf ihre spröden Lippen und zog sie an sich.
Rosa wich zurück und griff nach ihrem Dolch. Widerstrebende Gefühle durchstrudelten ihren Körper. Im Wasser hatte sie sich bereitwillig an ihn geklammert, und jetzt wich sie seiner harmlosen Berührung aus, als wäre er ein Wolf, der sie fressen wollte.
Er schüttelte den Kopf. »Du brauchst keine Angst zu haben«, begann er mit einem zärtlichen Lachen in der Stimme. »Ich würde dir niemals Gewalt antun.« Er wischte sich über die Stirn und grinste jetzt wieder so unverschämt wie immer. »Außerdem bin ich momentan sowieso viel zu schlapp dazu.« Er ließ sich auf den feinkörnigen Strand fallen und schloss seine Augen.
Rosa setzte sich neben ihn, streckte sich ebenfalls im Sand aus und genoss die weiche Wärme des Sandes, die sich ihrem Rücken anpasste wie ein Samtbett. Sog den lange vermissten Geruch nach Erde und süßen Blumen ein, der sich mit dem des Salzwassers vermischte, und schloss dann auch ihre Augen. Sie streckte ihre Arme weit aus und schob mit den Händen Sand zu kleinen Häufchen zusammen, immer und immer wieder. Sie war an Land.
Doch schon kurze Zeit später setzte sie sich mit einem Ruck auf und erhob sich. Der Wind war sehr viel stärker geworden und zerrte an ihren Kleidern. Sie musste herausfinden, wo sie waren. Lebten hier Menschen, die ihnen helfen konnten, oder waren sie in einer gottverdammten Einöde gelandet?
Ein Blick auf Luis überzeugte Rosa davon, dass er eingeschlafen war. Sie rannte mit dem Wind vom Strand landeinwärts, rannte, bis sie völlig außer Atem war. Obwohl sie wieder Erde unter den Füßen hatte, schwankte sie leicht, als wäre sie immer noch an Bord.
Schließlich gelangte sie an ein Dickicht aus hellgrünen röhrenförmigen Pflanzenstängeln mit dickfleischigen Blättern, daneben wuchsen gewaltige Kakteen, dahinter rot blühende Blumen, die vor einer weiten Ebene standen, deren Gras im Sonnenlicht verbrannt wirkte. Sonst war da nichts. Rein gar nichts.
Das Einzige, was essbar aussah, waren unzählige zierliche Vögel mit blassroten Bäuchen und smaragdgrünen Federn. Es waren so viele, dass Rosa sie trotz der lauten Brandung zwitschern hören konnte. Sie saßen auf den roten Blumen und bohrten ihre dünnen, geschwungenen Schnäbel in die Blüten wie Bienen ihren Rüssel.
Sie wanderte gegen den Wind zurück zu Luis, vorbei an den Röhrenpflanzen, deren Stängel milchweiße Flüssigkeit absonderten. Vielleicht konnte man das trinken? Sie griff nach ihrem Dolch, zögerte aber dann, die Stängel durchzuschneiden. Die erinnerten sie an Wolfsmilch, und vor der hatte ihre Mutter sie bei Spaziergängen im fränkischen Wald immer wieder gewarnt. Allerdings waren die Pflanzen, die ihre Mutter ihr gezeigt hatte, buschig gewesen mit vielen feinen zartgrünen Blättern.
Ihre Mutter. Rosa seufzte. Sie musste sehen, dass sie so schnell wie möglich von hier weiterkamen.
Luis schlief immer noch. Rosa war zwar erschöpft, aber auch aufgeregt und wollte
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