Die Hexengabe: Roman (German Edition)
im Kopf?«, wetterte ich, während ich überlegte, was das Ganze wohl zu bedeuten hatte.
Wurffbain zuckte mit den Schultern. »Ist momentan nur Gerede, aber ich dachte, es sei für Euch von Interesse, weil Ihr doch ein Auge auf die Zapffamilie habt.«
»Ich danke Euch, Wurffbain.« Ich schlug ihm freundlich auf die Schulter, beglückwünschte mich, meine Ungeduld bezwungen zu haben, und wandte mich zum Gehen.
Der Brief von Baldessarini konnte warten. Ich hatte jetzt Wichtigeres zu tun. Ich musste sicherstellen, dass niemand in der Werkstatt vom Zapf eins dieser Bilder fand, und dazu fiel mir nur eine einzige, bewährte Methode ein. Wie günstig für mich, dass dieser März mit Abstand der scheußlichste seit Jahren war. Kein Mensch würde sich freiwillig nachts vor die Tür begeben.
Aber ich musste vorsichtig sein. Es wäre besser, wenn es diesmal keine Toten geben würde.
Andererseits, und der Gedanke gefiel mir ausnehmend gut, wäre das dann ja auch eine Sorge weniger für den Stadtsäckel von Nürnberg.
36. Kapitel
N ein, tu das nicht!« Rosa konnte Luis gerade noch daran hindern, eine von den blassgrünen Röhren abzubrechen.
»Ich glaube, sie sind giftig.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß es nicht, aber der weiße Saft erinnert mich an Wolfsmilch, und die ist giftig.«
Luis sah Rosa amüsiert an und schüttelte den Kopf. »Solche Pflanzen gibt es in Nürnberg nicht.«
»Tipp doch lieber nur vorsichtig mit einer Fingerspitze an eine dieser klebrigen Stellen und warte, was geschieht«, schlug Rosa vor.
Luis fasste mit dem Zeigefinger an einen weißen Klumpen. »Ich lebe noch!«, sagte er dann triumphierend, doch plötzlich verzog sich sein Gesicht schmerzhaft. »Das brennt ja wie Feuer.« Er rannte zum Meer, als ob der Teufel hinter ihm her sei, und hielt den Finger in das kalte Wasser der Brandung.
Rosa verkniff sich ein Lachen, schließlich würde auch sie alles tun, um an Wasser zu kommen. Luis hatte gehofft, dass die Pflanzen Wasser speicherten. Das bisschen Morgentau, das sie mit ihren Hemden aufgefangen hatten, reichte bei Weitem nicht aus, um ihren Durst zu stillen.
Sie waren in den letzten Tagen den Strand Richtung Süden gegangen, doch so schwach, wie sie mittlerweile waren, kamen sie nur langsam voran. Außerdem war der Strand felsiger geworden, und Rosa hatte Angst, dass sie es nicht schaffen würden, über die nächsten Felshaufen zu klettern. Sie beneidete jene seltsamen pelzigen Tiere, die wie eine Mischung aus Kaninchen und Wiesel aussahen, sich in der Sonne badeten und beim kleinsten Laut wie der Blitz in den Felsspalten verschwanden. So müsste man klettern können. Oder fliegen wie die Möwen, die über der Brandung gegen den Wind ankämpften.
Luis vermied es, auch nur in ihre Nähe zu kommen, und sprach jeden Tag weniger. Und wenn, dann redete er nur davon, wie er sich sein Gold von der Amalberga holen würde.
Als Rosa nachgefragt hatte, was er damit meine, hatte er nur den Kopf geschüttelt. Sie befürchtete, er könnte krank sein oder Fieber haben. Hoffentlich hatte ihm die Pflanze jetzt nicht den Rest gegeben.
Sie lief Luis entgegen. Er sah unter seinem schwarzen Bart sehr blass aus. »Vielleicht hätte ich die ganze Röhre aussaugen sollen, dann wäre ich jetzt von allem Übel erlöst.« Missmutig deutete er auf die Felsen, die sich vor dem klaren blauen Himmel schwarz auftürmten.
Wie ein Echo zu seinen Worten knallte ein Schuss durch die Luft.
Sie sahen sich verblüfft an.
Rosa klatschte in die Hände. »Das war ein Schuss, das heißt Menschen!«
»Aber vielleicht keine guten. Wir sollten uns lieber verstecken, bis wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.«
»Unsinn, sie sind unsere einzige Rettung. Vielleicht haben sie etwas Trinkbares dabei?« Rosa sah sich um. »Der Schuss kam von dort. Ich gehe in diese Richtung.« Sie zeigte ins Landesinnere und marschierte los.
Luis folgte ihr seufzend. »Ich komme mit, aber nur zu deinem Schutz und gegen meine Überzeugung. Allerdings habt ihr Weiber ja manchmal auch recht.« Er zeigte ihr seinen Finger, der rot geschwollen war.
Wieder donnerte ein Schuss. »Es ist mehr rechts!«, rief Rosa und rannte los. »Hallo«, rief sie, »Hallo« und immer lauter: »Hallooooo!«.
Endlich sah sie zwei Männer in Lederhosen und weißen Hemden, die Flinten bei sich hatten.
»Es sind Europäer«, flüsterte sie und erstarrte. Die letzten Europäer mit Waffen hatte sie am Brenner gesehen.
»Dann sind die Chancen gut,
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