Die Hexengabe: Roman (German Edition)
dass wir uns verständigen können.«
Jetzt rief Luis und winkte. Die beiden Männer kamen zögernd näher, die Flinten in Schussbereitschaft.
»Und wenn das Banditen sind?«, flüsterte Rosa, die sich nah bei Luis hielt.
»Qui êtes-vous? D’où venez-vous?«, fragte der ältere der beiden Männer und starrte sie missbilligend von oben bis unten an.
Rosa versteckte ihren Hexenfinger sofort in ihrem Hemdärmel.
»Nous sommes des naufragés«, antwortete Luis.
Es klang wie Französisch, aber Rosa war nicht sicher.
Die beiden Männer sprachen miteinander, und der Ältere schüttelte immer wieder den Kopf.
»Sie glauben nicht, dass wir Schiffbrüchige sind. Sie vermuten, wir wären von Robben Island abgehauen«, flüsterte Luis ihr zu. »Das ist eine Gefängnisinsel vor dem Kap der Guten Hoffnung, wo sie die ganz üblen Verbrecher hinsperren.«
»Dann sage ihnen, dass wir anständige Menschen sind.«
»Wenn man uns anschaut, sieht es nicht gerade danach aus.« Luis zuckte mit den Schultern, und Rosa musste ihm recht geben. Ihre Kleider waren nur mehr Fetzen und ihre Haare immer noch extrem kurz für eine Frau.
»Ich frage mich nur«, murmelte Luis, »was Franzmänner am Kap zu suchen haben. Hier sind Holländer, Engländer und Portugiesen, aber Franzosen?«
»Vous êtes français? D’où êtes-vous originaire?«, wandte sich der Jüngere wieder an Luis und ließ Rosa vollkommen unbeachtet.
»De Lyon, mais ma famille a quitté la France«, antwortete Luis.
»Pourquoi?«
»Ça ne vous regarde pas!« Luis klang geradezu trotzig, fand Rosa.
Beide Männer waren nun näher gekommen. Am hinteren Gürtel des Älteren baumelten vier der flinken Tiere, die Rosa zwischen den Felsen gesehen hatte. Sie waren viel dicker als die Hasen, die Giacomo am Brenner geschossen hatte.
Der Gedanke an Giacomos Tod versetzte ihr immer noch einen Stich, trotzdem lief Rosa das Wasser im Mund zusammen, als sie sich die Tiere knusprig gebraten über einem Feuer vorstellte.
Der Ältere trat näher, betrachtete Rosas Haare, drehte sich zu dem Jüngeren und schüttelte den Kopf. Dabei blitzte in dem Ausschnitt seines nicht ganz zugeknöpften Leinenhemdes ein Kettenanhänger silbern auf.
»Er glaubt, man hätte dir den Kopf zur Strafe für ein schändliches Vergehen geschoren«, flüsterte Luis Rosa zu.
»Und ich glaube, das sind Hugenotten«, wisperte Rosa.
Luis sah sie verblüfft an. »Du könntest recht haben, was sonst hätte Franzosen hierher verschlagen.« Er nestelte an seinem Hemd und zog seine Kette hervor.
Die beiden Männer starrten darauf, wechselten Blicke, sahen dann zu Luis und Rosa, kamen näher und zogen die beiden Schiffbrüchigen in ihre Arme, als wären sie lange vermisste Familienmitglieder.
Aufgeregt redeten sie so viel auf Luis ein, dass er erst später, als sie auf dem Karren unterwegs zur Farm der Hugenotten waren, dazu kam, alles für Rosa zu übersetzen. Die beiden Männer gehörten zur Familie du Plessis, die mit einhundertsechsundsechzig anderen Hugenotten 1688 auf Einladung der VOC nach Kapstadt gekommen waren. Die Holländer hatten ihnen die Überfahrt bezahlt, und dafür mussten die Franzosen sich verpflichten, mindestens fünf Jahre zu bleiben und Land anzubauen. Vor allem Wein sollten sie pflanzen – das hatten die Holländer selbst schon versucht, aber mit mäßigem Erfolg. Darüber hatte Luis ausgiebig mit den Männern gelacht. »Wer hätte je von holländischem Wein gehört!«
Die beiden Männer waren entzückt, Glaubensbrüder gefunden zu haben, die ihre kleine Gemeinde verstärken konnten. Außerdem war Herbst und die Weinlese in vollem Gang. Die Weinbauern konnten jede helfende Hand brauchen. So kam es den du Plessis gerade so vor, als wären Rosa und Luis von Gott gesandt worden.
»Und da ist noch etwas …« Luis sah Rosa mit einem merkwürdigen Lächeln an. »Sie glauben, dass wir verheiratet sind.«
»Du meinst, das hast du ihnen so erzählt?«
Er hob abwehrend die Hände. »Es war die einzige Möglichkeit, deinen Ruf zu retten. Und wo wir gerade bei deinem Ruf sind, ich glaube, du solltest deinen Finger mit irgendwas bedecken. Strenggläubige halten so etwas gern für eine Strafe Gottes.«
»Und du, für was hältst du es?«, flüsterte Rosa.
»Für nichts anderes als Pech!« Luis lachte jetzt so laut, dass die beiden Männer, die vorn auf dem Karren saßen, sich zu ihnen umdrehten.
»Vive les femmes!«, rief Luis erklärend, die beiden Männer nickten, lächelten und drehten
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