Die Hexengabe: Roman (German Edition)
teuer.«
»Ich bin keine Nagini, das ist Scharlatanerie!«
»Diese Wort nicht ich kenne.« Nandi zuckte mit den Schultern und sagte trotzdem etwas zu Usha, was diese zu einem breiten Lächeln veranlasste, so breit, dass Rosa zum ersten Mal ihre schwarzen Stummel im Mund sehen konnte. Die Alte gestikulierte eindringlich, während Nandi Rosa übersetzte, was sie sagte:
»Du sechs Finger hast, wo andere nur fünf. Menschen das freut, wünschen, dir Opfer zu bringen, für glücklich zu sein. Du Geschenk von Gott für Geschenk an Mensch.« Er holte tief Luft, sehr zufrieden mit seiner Übersetzung.
Usha überreichte Rosa alle zwanzig Goldreife, die die beiden Frauen ihr gegeben hatten.
Rosa nahm sie in die Hand. Sie wogen viel mehr als die, die Siranush getragen hatte.
Aber war das richtig? Von wegen Geschenk an Mensch. Die brachten ihr Geschenke! Mit einem hatte Usha allerdings recht. Dieser vermaledeite Finger war da.
Sie seufzte. Egal, was die beiden sagten, der Finger machte sie nicht zu einer Heiligen … aber … Nun gut, sie wusste nicht, wie viel Geld sie noch für die Befreiung aus dem Harem brauchen würde. Vielleicht musste sie jemanden bestechen? Oder brauchte gemietete Söldner? Und an diesem Geld klebte wenigstens kein Blut wie an dem von Luis.
44. Kapitel
Z wei Wochen später stand Rosa vor dem Palast des Khan Bahadur Ammar Karim. Ein gewaltiger Bau aus weißem Marmor, der sich weit vor der Stadt Orukal in den Himmel reckte. Sie bestaunte die vielen Kuppeln und Türmchen, die sich in dem dunkelblau schimmernden See, der den Palast umgab, widerspiegelten. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass ihre Schwester und ihr Neffe hinter den Mauern dieses Märchenpalastes gefangen waren, und plötzlich erschien ihr der See nur ein Hindernis, das sie von ihnen trennte, plötzlich waren die weißen Türme nur dicke Mauern, die es zu überwinden galt.
Trotzdem, sie war endlich am Ziel angekommen. Rosa atmete tief durch. Sie fühlte sich stark und bereit und voller Zuversicht. Die Reise mit Nandi und Usha war so ganz anders gewesen als alle vorherigen Etappen. Nur der Gedanke an Luis hatte sie immer wieder in Unruhe versetzt. Sie sagte sich zwar ständig, dass er bei den Hugenotten gut aufgehoben war und überlebt hatte, besonders, wenn sie nachts sein unverschämtes Grinsen vor sich sah. Doch immer dann, wenn sie sich endlich damit beruhigt hatte, er sei doch längst noch nicht bereit zum Sterben, erinnerte sie sich daran, dass Giacomo auch noch nicht bereit gewesen war, zu sterben. Dieser Gedanke verstärkte ihre Ungeduld, und wenn sie sich dann ihre Schwester vorstellte, die zu Hurendiensten im Harem gezwungen wurde, dann wuchs ihr Drang, endlich etwas zu tun, ins Unermessliche und ließ sie alle unerbittlich vorwärtstreiben.
Sie waren durch die vom Monsun feuchte Hitze über grüne sanfte Hügel und an vielen Seen vorbeigeritten, und Rosa war trotz ihrer Anspannung immer wieder vom Anblick der Landschaft, den fremdartigen Tieren und Blumen fasziniert gewesen. Das laute und schrille Schreien der Makaken und Hanuman-Languren mischte sich mit dem Tröten der Elefanten und dem Summen der Insekten. Es gab fast vogelgroße Schmetterlinge, die sie hie und da an der Schulter gestreift und ihr zuerst Angst gemacht hatten. Und über allem lag der süße Duft nach Vanille, nach Jasmin und Rosen, der sich mit dem von verwesenden Blättern, Zimt, Limonen und Kuhdung vermischte.
Um ihre ständig steigende Rastlosigkeit im Zaum zu halten, fertigte Rosa jeden Abend kleine Skizzen von Tieren und Blumen an, damit sie ihren Schwestern zu Hause davon erzählen und vielleicht sogar ein paar Stiche anfertigen konnte.
Wann immer sie in einem Dorf angekommen waren, boten ihnen die Bewohner Essen und Lager an. Wenn sie dieses Angebot in jedem Dorf, das am Weg lag, angenommen hätten, dann wären sie heute noch weit entfernt vom Palast. Auch dass Usha und Nandi immer wieder darauf bestanden hatten, in aller Ruhe zu essen, weil das wichtig sei für die Seele, hatte Rosa oft sehr gereizt. Sie hätte auch gefastet, nur um schneller am Ziel anzukommen. Dabei hatte es ihr immer besser geschmeckt, je weiter sie sich von der Küste und dem ewigen Fischcurry entfernt hatten und ins Landesinnere vorgedrungen waren. Besonders gern mochte sie Elumichampazha Sadam, einen saftigen und scharfen Zitronenreis mit Erdnüssen, und Bisi Bele Huli Anna, ein Linsengericht mit Gemüse, Reis und Kokosnussfleisch. Auch den Geschmack des
Weitere Kostenlose Bücher