Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Chai-Tees, den Usha jeden Morgen aus frischem Ingwer, Zimtrinde, Gewürznelken, Kardamomkapseln, Süßholz, Milch und Teeblättern zubereitete, hatte sie lieb gewonnen. Wenn es nur nicht immer so lange gedauert hätte! Wenn man doch beim Reiten hätte kochen, essen und trinken können!
Doch nun hatten sie es trotz aller Verzögerungen geschafft.
Nachdem Rosa den Palast lange aufmerksam betrachtet hatte, nahm sie mit ihrem Trupp, wie jeden Abend, seit sie von Masulipatnam aufgebrochen waren, in einer der cavatjis Quartier. Es war eine Art Rasthaus für Reisende, in dem aber auch Gericht abgehalten wurde.
Nandi hatte ihr erklärt, dass das Wort cavatjis tamilischer Herkunft war und bedeutete: Platz, an dem sich vier Wege treffen.
Je länger sie unterwegs waren, desto öfter hatten dort schon Frauen auf die blonde Nagini gewartet und Rosa Opfer dargebracht, damit sie ihren Finger berühren durften. Zuerst war Rosa das unangenehm gewesen, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, und es begann ihr Freude zu machen.
Auch als sie am nächsten Morgen erwachte, hatten sich bereits Frauen versammelt, die sie berühren wollten. Sie schleppten große Silberplatten voller Speisen mit sich, reich dekoriert mit Jasmin und Lotosblumen, Opfer, wie ihr Nandi erklärt hatte, genau die gleichen Dinge, die die Frauen auch anderen Göttern opferten, um sie gnädig zu stimmen.
Doch heute wartete auch ein schwarzer Mann auf einem mit roten und goldenen Beschlägen geschmückten Schimmel auf sie, der von zwei Wachen in Uniform begleitet wurde. Misstrauisch musterte er Rosa und ihre Gefährten.
»Wer ist das?«, raunte Rosa Nandi zu.
»Ich nicht weiß, ich ihn werde fragen.«
Nandi schritt zu dem Reiter, verbeugte sich mehrfach, dann entspann sich ein lebhafter Wortwechsel zwischen den beiden. Die Frauen, die um Rosa herumstanden, zogen angesichts der Männer ihre Schleier über die Köpfe, rückten näher zusammen und begannen miteinander zu flüstern und zu kichern.
Der schwarze Reiter stieß ein paar scharfe Befehle aus, woraufhin die beiden Soldaten auf die Frauen zuritten und sie auseinandertrieben wie Vieh. Die Platten mit den liebevoll arrangierten Köstlichkeiten fielen zu Boden, und zwei ältere Frauen stürzten bei dem Versuch wegzulaufen auf die vom Monsun schlammige Erde und beschmutzten ihre Saris. Rosa rannte zu ihnen und half ihnen aufzustehen.
Voller Zorn wandte sie sich zu dem schwarzen Mann und brüllte: »Was fällt Euch ein? Warum gebt Ihr solche Befehle? Wer seid Ihr überhaupt?«
Mit einem Schlag verstummten alle, und es breitete sich eine unangenehme Art von Stille aus, sogar die Makaken schwiegen.
Nandi kam mit beschwichtigenden Gesten auf Rosa zugerannt. »So nicht sprechen Frau mit Leuten vom Palast.«
»Wer ist dieser Mann?«
»Das ist Beshir Aga«, flüsterte er, und seine Stimme war voller Ehrfurcht, »der oberste Eunuch im Harem von Khan Bahadur.«
»Was will er?«
»Er Euch überbringt eine Einladung.«
»In den Palast?«
»In den Harem.«
Rosa starrte den Reiter sprachlos an.
»Das verstehe ich nicht.« Sie sah vom Reiter zu den Frauen, die mit geneigten Köpfen und gebeugten Schultern in einiger Entfernung stehen geblieben waren. Dann zu Usha, die sie ermutigend angrinste.
»Als Haremsfrau?«
Nandi kicherte, sah aber sofort auf den schlammigen Boden, als wäre es ein Verbrechen zu lachen.
»Nein, die Frauen des Khan Bahadur von der Schlangenfrau gehört haben und deinen Segen wollen. Sie möchten großes Fest für dich und Usha feiern.«
Rosa spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Sie musste stark an sich halten, um nicht begeistert in die Hände zu klatschen und sich um sich selbst zu drehen. Großartig!
»Nandi, aber werde ich dort auch wieder herauskommen?«
Nandi zuckte mit den Schultern. »Ihr seid Nagini, aber wenn der Khan ein Auge auf Euch wirft …«
Nach einem weiteren Blick auf den schwarzen Reiter begann Rosa auch unwillkürlich zu raunen. »Kann ich Bedingungen stellen?«
»Große Ehre, geladen zu werden in den Harem«, er zögerte, »aber versuchen.«
Gedanken rasten durch ihren Kopf. Wie konnte sie Dorothea und ihren Neffen dort herausschaffen, ohne dass es jemand bemerken würde? Sie hatte nur Siranushs Dolch, und der Harem war sicher gut bewacht. Denk, Rosa, denk ein bisschen schneller!
Der schwarze Reiter warf Nandi ein paar herrische Worte hin, und sein Schimmel tänzelte so ungestüm hin und her, dass die Pfeile in seinem Köcher zu klappern
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