Die Hexengabe: Roman (German Edition)
eine Melodie. Die einzige »Musik«, die Aurangzeb gestattete, waren die Kesselpauken, die während der Reise den Herrscher ankündigten.
Und Aurangzeb war kein Mann, dessen Geboten man sich ungestraft widersetzte, hatte er doch selbst seinen Vater in die Verbannung geschickt und seine drei Brüder ermordet.
Ich war sicher, dass ich den heutigen Abend nicht überleben würde, doch ich wollte mich nicht kampflos ergeben.
Die Mahaldar schlüpfte aus ihren Schuhen und verbeugte sich dreimal tief zum Taslim, dabei berührte der rechte Handrücken den Boden und dann die Stirn. Aurangzeb lehnte es ab, dass man den Boden direkt vor ihm küsste, weil er fand, diese Ehre gebühre nur Allah allein.
»Verzeiht diesen Unwürdigen. Ihr habt uns rufen lassen …«
Aurangzeb winkte uns näher zu sich heran. Neben ihm saß der fremde Fürst, der mich am Fluss erwischt hatte. Es war ein ganz außergewöhnliches Zeichen von Freundschaft, eine unglaubliche Ehre, dass der Fremde beim Kaiser sitzen durfte. Alle anderen mussten stehen.
Meine Knie begannen zu zittern. Aurangzeb würde ein Exempel statuieren müssen, um vor diesem wichtigen Fremden nicht als Weichling dazustehen, der sich von seinen Frauen demütigen ließ.
Die beiden saßen an einem viereckigen, geschnitzten Tischchen aus weißem Elfenbein, das Männer bei der Gepardenjagd zeigte.
»Raihana«, sagte Aurangzeb, und die Belustigung in seiner Stimme jagte mir Angstschauer über den Rücken, »wie mir mein Freund und Schwager Khan Bahadur Ammar Karim berichtet hat, fand er dich ohne Burka beim Flötespielen vor, allein.«
Ein Raunen und Wispern ging durch den gesamten Hofstaat, und erst jetzt begriff ich das ganze Ausmaß meiner Verfehlung.
»Nun, weil mein Freund ein sentimentaler Mann ist, dem der Klang deiner Flöte das Herz betört hat, wollte er dich kaufen. Doch ich wünsche nicht, dass eine solche Frau den Harem meiner Schwester beschmutzt. Also, um Khan Bahadur Ammar dennoch eine Freude zu bereiten, darfst du entscheiden …« Aurangzeb schwieg einen Moment und fuhr dann mit lauter Stimme fort: »Wer soll sterben, du oder Beshir Aga?«
Der fremde Fürst hustete.
Mir wurde schwindelig. Was für ein teuflischer Mann!
Ich sah Beshirs Gesicht vor mir, als er von dem Wasserfall wieder emporgestiegen war. Glücklich wie ein Kind. Trotzdem wollte ich leben. Aber was konnte ich sagen, was konnte ich tun, um auch Beshirs Leben zu retten?
»Nun, Raihana?«
Könnte ich vorgeben, sterben zu wollen, um Beshirs Leben zu retten, und dann fliehen? Lächerlich, ich käme vielleicht aus dem Lager, aber noch bevor ich den Fluss erreichte, hätten mich die Soldaten gefangen.
»Dort wo ich herkomme«, begann ich, »sagen wir, wer die Wahrheit spricht, braucht ein Pferd, um zu fliehen.«
»Was erlaubst du dir – antworte gefälligst!«
»Nun gut.« Ich holte tief Luft. »Warum muss überhaupt einer von uns sterben? Welches Verbrechen haben wir begangen, dass wir so grausam bestraft werden sollen?«
Die Mahaldar neben mir sog erschrocken die Luft ein.
Der fremde Fürst lachte. Aurangzeb presste die Lippen zusammen, dann sprach er sehr leise und zwang damit alle, die hören wollten, was er sagte, die Luft anzuhalten.
»Du hast keine Wahl getroffen, deshalb werdet ihr beide hingerichtet. Ich allein entscheide über Leben und Tod.«
Nur das Wedeln der Pfauenfedern durchschnitt die drückende Stille.
»Ihr werdet beide bei Sonnenaufgang geköpft. Zuerst Beshir, dann du. Die Mahaldar bürgt mit ihrem Kopf dafür, dass euch bis dahin nichts geschieht. Und jetzt wollen wir speisen.«
Wir waren entlassen.
»Ich hätte diesen Spaziergang niemals erlauben dürfen.« Die Mahaldar flüsterte unentwegt vor sich hin, während wir von Wachen zurück zu den Frauenzelten begleitet wurden.
»Du hättest dich nicht so respektlos verhalten dürfen. Hast du denn in all den Jahren nichts gelernt?« Die Mahaldar schwitzte sehr stark, und während ich noch gar nicht begreifen konnte, dass mein Leben zu Ende sein sollte, konnte ich doch umso besser verstehen, was für die Mahaldar auf dem Spiel stand. Wenn es mir gelingen würde, zu fliehen, dann würde ihr Kopf rollen. Und selbst wenn nicht, ihre Stellung war angreifbar geworden, die Frauen würden ihr nicht mehr gehorchen.
Man empfing uns neugierig. Die Mahaldar berichtete, was passiert war, danach brach lauter Jubel los. Die Frauen klatschten in die Hände und beratschlagten, wie sie sich für dieses Fest schmücken wollten.
Das war
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