Die Hexengabe: Roman (German Edition)
nichts Persönliches. Eine Hinrichtung war ein großes Ereignis, ein Fest, ganz egal, wer hingerichtet wurde. Da nahm es nicht einmal Aurangzeb so ganz genau mit dem Wein.
Als ich das erste Mal verkauft worden war, hatte ich versucht, Freundinnen zu finden, aber ich hatte gelernt, dass es unmöglich war. Leidenschaftliche Küsse, gemeinsames Spiel, ja, das schon, aber in einem Harem konnte es das, was ich unter einer bedingungslosen Freundschaft verstand, nicht geben. Wahre Freundschaft gibt es nur dort, wo die Menschen frei sind.
Schließlich sorgte die Mahaldar für Ruhe und schickte alle fort.
»Du dummes, dummes Ding«, sagte sie. Sie klang geradezu bekümmert, was ich darauf zurückführte, dass meine Schande ihre Stellung im Harem schwer erschüttert hatte.
Zwei bewaffnete Eunuchen kamen herein.
»Kommt mit!«
Die Mahaldar fletschte ihre schwarzen Zähne, verschränkte die Arme vor ihrem Busen und baute sich zu ihrer Furcht einflößenden Größe auf. »Wohin? Wer wagt es, Mahaldar etwas zu befehlen?«
»Alamgir, der Herrscher selbst hat angeordnet, dass die beiden zum Tode Verurteilten in einem besonderen Zelt untergebracht werden sollen.«
»Du meinst, in einem besonders gut bewachten Zelt?«
Der Eunuch, der ihrem Blick nicht standhalten konnte, nickte mit gesenktem Kopf.
»Wie viele Wachen?«
»Zehn.«
»Wie viele davon Frauen?«
»Keine.«
»Gut, dann werde ich mitkommen. Geht voran.« Die Mahaldar reichte mir meine Burka und legte selbst auch eine an.
Während wir den Wachen folgten und ich das Raunen vernahm, das uns begleitete wie eine schwache Brise, wurde mir plötzlich bewusst, dass dieser mein Kopf, der immer noch reich geschmückt auf meinem Hals saß, dort morgen nicht mehr sein würde.
Nein! Man hatte mir doch schon alles geraubt, meine Freiheit, meine Würde, mein Kind – und jetzt auch noch mein Leben? Niemals!
Die Wachen blieben vor einem kleinen Zelt stehen, das östlich vom Küchenzelt lag und in dem sich sonst die Vorkoster aufhielten.
Einer der Eunuchen hielt die Stoffbahn, die den Eingang verschloss, hoch und bedeutete uns mit einem Blick, dort hineinzugehen.
Hier gab es keine weichen Pashmina-Teppiche, hier lagen dünne harte Kelims in trüben Herbstfarben auf dem Boden. Es gab keine Kissen, nur ein paar Puffs, dicke, runde Lederhocker, und ein kleines, rundes Tischchen. Das Zelt hatte keine Fenster, nicht mal einen Lüftungsschlitz.
Die Mahaldar bestellte Tee für uns, dann ließ sie sich auf einen der Lederhocker fallen und stöhnte.
»Du dummes Ding, warum hast du nicht einfach Beshirs Tod bestimmt? Warum hast du den Herrscher mit deiner frechen Rede beleidigt?«
»Wie hätte ich weiterleben können mit dem Gedanken, dass ich den Tod von Beshir verursacht habe, der nicht das Mindeste verbrochen hat?«
»Ich verstehe euch Christen nicht. Warum hängt ihr so am Leben? Habt ihr denn nicht auch ein Paradies, das euch im Jenseits erwartet?«
Beshir trat ein und verneigte sich tief vor der Mahaldar.
»Ich habe dir Schande gebracht. Mein Tod ist gerechtfertigt.«
»Unsinn!« Ich trat zu ihm.
Er funkelte mich wütend an. »Du weißt nichts über diese Welt.«
»Ich hätte dich also töten lassen sollen?«
»Es hätte dir als Frau und vor allem als Sklavin angestanden, deinen Fehler einzugestehen und sterben zu wollen !« Er flüsterte, aber mit so einer Verachtung, dass ich mich wie zurückgeschleudert fühlte.
»Und nun werden wir beide sterben.« Seine Stimme war jetzt wieder lauter, und er klang sehr befriedigt.
Dieser Mann war als Kind entführt, seiner Männlichkeit beraubt worden, und dennoch hielt er all dieses Unrecht für berechtigt. Ich hatte unser gemeinsames Schweigen falsch eingeschätzt. Es gab keine Freundschaft im Harem.
Plötzlich hörten wir Menschen schreien, Fußgetrappel, unruhiges Pferdegewieher. Unwillkürlich traten wir näher zum Zelteingang, und geradeso, als hätte man das draußen bemerkt, traten zwei bewaffnete Eunuchen in das Zelt und stellten sich vor den Eingang, ihre Schwerter gezückt, als ob sie sich gleich auf uns stürzen wollten.
Endlich konnte ich verstehen, was draußen gerufen wurde. »Feuer! Feuer!«, schrien sie.
Die Mahaldar und ich sahen uns an.
Jemand rief nach den Eunuchen im Zelt. Sie rannten hinaus.
Und genau in diesem Augenblick durchschnitt ein Säbel die Rückwand des Zeltes, und vor uns stand der fremde Fürst, Khan Bahadur Ammar Karim.
»Zur Hölle mit Aurangzeb!«, rief er und unterstrich seine Rede
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