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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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bleibt ein elender Lump. Ganz anders als sein großartiger Vater.«
    »Warum sagst du das? Kennst du die Familie?«, fragte Rosa.
    Toni schüttelte den Kopf. »Nein, nicht näher. Aber den Vater, den alten Gregor Johannes Dobkatz, den kennt man, weil er sich für die Armen der Gemeinde immer starkgemacht hat. Allerdings wurde über ihn auch gemunkelt, er schaue gern zu tief ins Glas und sei den Weibern nicht abgeneigt.« Toni stemmte die rechte Hand in ihre Hüfte und strich mit dem Zeigefinger der linken Hand nachdenklich über ihre Lippen. »Hmm. Ich weiß nicht, ob der überhaupt noch lebt. Andererseits, ich erinnere mich an keine Beerdigung, und da hätte der junge Dobkatz es sicher an nichts fehlen lassen. Auch wenn er sonst ein ganz anderes Kaliber ist als sein Vater. Hält sich für was Besseres, das weiß ich von der Isabella, der jüngsten Kusine meiner Schwägerin. Sie hat einmal im Dobkatz’schen Haus als Köchin gearbeitet. Nichts hat dem jungen Herrn gepasst, nur getriezt hat er sie, weil sie dem Alten angeblich schöne Augen gemacht hat, und danach hat der junge Dobkatz dann dafür gesorgt, dass nur noch Männer in seinem Haus arbeiten. Das ist doch nicht normal, oder? Ich mein, wer hätte je von einem guten Koch gehört?« Toni lachte.
    »Aber darum ist er doch noch lange kein Lump.«
    Toni hörte abrupt auf zu lachen und schüttelte den Kopf, während sie die Teller wegräumte. »Man munkelt so mancherlei über die ach so edlen Ratsherren.«
    »Jetzt ist es aber genug!«
    Toni und Rosa drehten sich um wie beim Stehlen erwischte Gaunerinnen und sahen direkt in das Gesicht von Rosas Mutter. Sie war bleich wie ein Laken. »Ihr solltet nicht so über die Leute herziehen und euch lieber auf eure Arbeit konzentrieren!«
    Toni zuckte mit den Schultern und beauftragte dann die Zwillinge, Holz für ein Feuer zu schichten, weil sie heute noch waschen wollte, obwohl gar kein Waschtag war. Toni war der Ansicht, dass man die Wäsche des Verstorbenen spätestens eine Woche nach der Beerdigung reinigen sollte, damit er die Hausbewohner nicht mit nächtlichem Spuken bestrafte.
    Rosa hatte Toni auch dabei beobachtet, wie sie gleich nach dem Tod ihres Vaters die Spiegel verhängt und dreimal auf alle Fässer geklopft hatte. Ja, auch am Mehlkasten und sogar am heiligen Apothekerschrank der Mutter hatte sie heftig gerüttelt, um den Geist des Toten zu verscheuchen.
    Rosas Mutter hatte das als Aberglauben abgetan, aber Toni war überzeugt davon, dass man dem Geist des Toten so den Übergang in eine bessere Welt erleichtern würde.
    Rosa hoffte, dass ihr Vater längst im Paradies angelangt war und er sich dort wohlfühlte. Sie war überzeugt davon, in seinem Sinn gehandelt zu haben, als sie sich gegen dieses empörende Unrecht gewehrt hatte. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass er es niemals gutgeheißen hätte, wenn sie alleine nach Indien reiste. Schließlich hatte er immer zu verhindern gewusst, dass Rosa die Stadtmauern von Nürnberg verließ. Nur hier sei sie sicher und nur in seiner Begleitung, so hatte er behauptet. Aber er war tot, nie wieder würde er sie begleiten können.
    Rosa hörte das widerwärtige Lachen des Rates aufbranden. Das soll mein Antrieb sein, dachte sie, wir werden noch sehen, wer zuletzt lacht. Ich werde einen Weg finden. Ich muss.
    Wenn ich so abergläubisch wie Toni wäre, dachte sie, dann würde ich jetzt nach einem Zeichen Ausschau halten, das mir anzeigt, ob meine Reise unter einem guten Stern steht oder nicht. Würde schauen, ob eine Spinne am Abend meinen Weg kreuzt oder plötzlich ein Hufeisen vom Himmel fällt oder ich über ein vierblättriges Kleeblatt stolpere.
    Aber sie war nicht abergläubisch.

3. Kapitel
     
    R osa spürte, dass an Schlaf nicht zu denken war, deshalb stand sie auf und wanderte hinunter zur Pegnitz, wo es um diese Zeit vollkommen einsam war.
    Wenn ihre Mutter gewusst hätte, dass sie nachts das Haus verließ, dann hätte es Prügel gesetzt. Denn ihre Mutter war davon überzeugt, dass sich nur Huren und Vagabunden in der Dunkelheit herumtrieben. Und in dieser Angelegenheit war sie sich ausnahmsweise einmal einig mit Rosas Vater gewesen.
    Das war eines der wenigen Verbote, über die sich Rosa schon lange hinwegsetzte. Sie liebte es, nachts durch die Gassen hinunter zur Pegnitz zu gehen. Nur wenn alles in einem nebelhaften Grauschwarz versank und niemand sie anstarrte, nur dann gehörte Nürnberg ihr, konnte sie wirklich frei atmen.

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