Die Hexengraefin
sehr direkt.
Auf diese Frage hatte der jüdische Arzt schon lange gewartet; sie traf ihn daher nicht unvorbereitet. »Erlaubt, Madame, dass ich ein klein wenig aushole«, begann er daher, nachdem er seine vom Puderzucker des Gebäcks bestäubten Finger mit einem Mundtuch abgewischt hatte.
»Im Jahr 1609 erließ der damalige Kaiser Rudolf II. einen Majestätsbrief. Darin gewährte er allen Bewohnern Böhmens Gewissensfreiheit und freie Religionsausübung, den Protestanten zudem das Recht zum Bau von Kirchen und Schulen sowie das Recht, weiterhin an der Prager Universität zu lehren.
Auch sein Vetter, unser Erzherzog Leopold, damals noch Bischof von Passau – erst viel später sollte er die Pfründe Straßburg erhalten – schlug sich auf seine Seite, während sein älterer Bruder Ferdinand – unser jetziger Kaiser – eifriger Parteigänger von Rudolfs fünf Jahre jüngerem Bruder Matthias war.
Doch Bischof Leopold war in jungen Jahren ein Heißsporn, der Kaiser Rudolf in seinem Übereifer wahrscheinlich mehr geschadet als genützt hat. Im Februar 1610 traf er jedenfalls mit einer Armee von 12 000 Mann in Prag ein, um dem Kaiser Rückendeckung gegen Matthias zu geben. Die Bewohner der böhmischen Hauptstadt stöhnten aber bald unter dem undisziplinierten Benehmen der Soldaten Leopolds.
Erzherzog Matthias – Rudolfs Bruder – nahm dies zum Anlass, nun seinerseits nach Prag zu marschieren, um angeblich die Stadt vom Soldatenmob Leopolds zu befreien. In Wahrheit wollte er die Macht an sich reißen – was ihm auch gelang.
Bischof Leopold zog mit seinen Truppen ab, während sein Bruder Ferdinand mit dem sicheren Gespür für Machtverhältnisse auf Seiten des Gewinners gestanden hatte.
Kaiser Rudolf sah ein, dass es sinnlos war, Widerstand gegen seinen Bruder Matthias zu leisten. Am 23. Mai 1611 wurde Matthias im Prager Veitsdom zum König von Böhmen gekrönt; später wurde er Kaiser.
Nun, jenem Kaiser Matthias ist es jedenfalls nicht gelungen, den Beginn dieses entsetzlichen Krieges zu verhindern, der jetzt das Deutsche Reich zerreißt, obwohl er für einen Ausgleich mit den Protestanten eingetreten ist.
Sein Erbe wiederum, unser jetziger Kaiser Ferdinand II., kennt hingegen keine Kompromisse. Bei ihm findet sich nicht der kleinste Ansatz religiöser Toleranz, die so hoffnungsvoll im Jahre 1555 mit dem von Kaiser Karl V. ausgerufenen Augsburger Religionsfrieden begonnen hatte.«
Jetzt war Adelheid vieles klar. Mit der Eintracht der beiden Brüder Leopold und Ferdinand war es nie weit her gewesen: Der Jüngere war dem älteren Habsburger immer unterlegen gewesen. Ferdinand hatte in jungen Jahren auf das richtige Pferd gesetzt, während Leopold den Machtkampf verloren hatte.
Ferdinand war jetzt Kaiser und Leopold immer noch Erzherzog und nur Bischof – nicht einmal zum Erzbischof oder Kardinal hatte der Papst ihn gemacht.
Und Monseigneur würde auch keine weiteren Würden mehr erlangen – das wusste er. Wer wollte es ihm verdenken, dass er seinen Spaß daran hatte, des Öfteren Nadelstiche und Spitzen gegen die Machenschaften des älteren Bruders loszulassen und hin und wieder sogar beachtliche Breitseiten gegen dessen Politik abzufeuern?
Der Bischof war zwar der Intelligentere von den beiden, aber Ferdinand zweifellos der Frömmere …
Und Adelheid von Ruhfeld war dem jüdischen Arzt, der, unter dem Schutz des Kirchenfürsten nach wie vor unbehelligt seinem mosaischen Glauben anhing, dankbar für diese Aufklärung.
Insgeheim war sie sogar nicht wenig stolz auf ihre hochedle Verwandtschaft, wenn auch nur ein paar Tröpfchen des erlauchten Habsburger Bluts durch ihre Adern flossen.
KAPITEL 47
»WAS IST MIT EUCH, Vater Ambrosius? Ihr sitzt da und starrt vor Euch hin, anstatt tüchtig zuzugreifen. Ist etwas nicht nach Eurem Geschmack?« Graf Ferfried zeigte sich besorgt.
Nach der Messe in der Schlosskapelle saßen er, Graf Hasso und sein Beichtvater Pater Ambrosius Feyerling wie gewöhnlich in der kleinen Halle beim Frühmahl.
Madame Salome hatte den Herren wie üblich ein üppiges Mahl mit Bier, Schinken, frisch gebackenem Brot und gebratenen Eiern auftischen lassen, ehe sie sich wieder diskret zurückgezogen hatte. Aber der Benediktiner schien keinen rechten Appetit zu haben.
Der Graf beugte sich vor und flüsterte Ambrosius ins Ohr: »Oder habt Ihr etwas gegen die Anwesenheit meiner Salome im Schloss, Vater?«
»Wie? Was meint Ihr, Herr?« Der Mönch schien verwirrt. Dann verstand er. »Nein,
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